Spieltage
beschäftigte sich nicht besonders mit Gutendorfs taktischen Kniffen. Zwar hegte er die vage Absicht, selbst einmal Sportlehrer oder Trainer zu werden, aber das verleitete ihn noch lange nicht dazu zu glauben, ein Trainer habe eine besondere Wichtigkeit. Fußball war ein Spiel für Spieler. Darin war er sich mit mehr oder weniger allen Kollegen beim MSV einig. Was sie beschäftigte, waren weniger Trainers taktische Finessen, sondern Trainers schöne Frauen – wo sie auch hinreisten, schien eine auf Gutendorf zu warten, wie machte der das bloß!
Frauen waren natürlich ein Thema auf den Fahrten zum Training mit Manfred Manglitz, Frauen und Adenauer. In wenigen Wochen, im Oktober 1963, würde der Alte mit 87 Jahren als Bundeskanzler abtreten, hatte er angekündigt, und Heinz Höher konnte sich nur schwer vorstellen, dass der Nachfolger sie so sicher durch die Zukunft geleiten konnte wie Adenauer.
Manglitz nahm Adenauers Abdanken wie alles im Leben leichter. Er konnte auf den Autofahrten von Adenauer direkt auf die schönen Leichtathletinnen in Leverkusen kommen und schnurstracks bei den neuen Schuhen landen, die eine Schweizer Firma namens Künzling speziell für Torhüter entworfen hatte, mit fünf statt vier Stollen unter dem Vorderfuß für den besseren Halt beim Sprung und dem Schaft bis über den Knöchel, damit der Torwart nicht so leicht umknickte.
In Italien hatten sie gar Handschuhe speziell für Torhüter entwickelt. Manglitz’ Mutter war an der Adria im Urlaub gewesen und hatte ihm ein Paar mitgebracht, feine Stoffhandschuhe, für die bessere Griffigkeit der Finger mit Streifen aus dem Gummibelag eines Tischtennisschlägers beklebt. Aber nach fünf Trainingseinheiten war das Gummi bereits stumpf, und nicht viel später löste es sich vom Handschuh.
Jedes Jahr um den 15. März ging Manglitz ins Kaufhaus und besorgte sich fünf Paar Fingerhandschuhe aus Wolle für 3,95 Mark auf Vorrat. Der Winter war vorbei, Handschuhe verschwanden für sechs Monate aus dem Sortiment, und er brauchte welche, falls es beim Fußball regnete. Dann rieb Manglitz die Wollhandschuhe mit Sand aus der Weitsprunggrube ein, damit er einen besseren Halt am rutschigen Ball hatte. Bei trockenem Wetter spielte er selbstredend mit bloßen Händen, aber immer mit Schirmmütze.
In der Woche nach dem Bremen-Spiel mussten sie zum ersten Mal viermal zum Training fahren. Die Bundesliga war erst fünf Wochen alt, und das Trainingspensum entwickelte sich schneller als in den zwanzig Jahren zuvor. Viele Vereine verdoppelten die Belastung abrupt auf vier bis fünf Einheiten die Woche. Dies war oft nur mit Kreativität möglich, da die Mehrzahl der neu geschaffenen Lizenzspieler weiter in herkömmlichen Berufen arbeitete. So stieg plötzlich die Anzahl der Besitzer von Toto-Lotto-Geschäften unter den Bundesligaspielern. Sie konnten den Laden für zwei Stunden Training reibungslos der Frau, dem Onkel oder einem Angestellten überlassen. In Kaiserslautern gab es Training im Schichtdienst, Trainer Günter Brocker bot eine Einheit für die an, die morgens freihatten, und nachmittags eine für den Rest.
In Meiderich standen die Spieler um fünf Uhr auf. Von sechs am Morgen bis 14 Uhr arbeiteten sie – wie nahezu jeder in Meiderich – auf der Phoenix-Hütte. Nach einer halben Stunde Mittagspause gingen sie zum Training. Eia Krämer war Schlosser bei Phoenix-Rheinrohr, Horst Gecks Kaufmann in der Stoffabteilung, Dieter Danzberg verteilte die Post im Betrieb. Die Abwehrspieler Werner Lotz und Hartmut Heidemann schufteten als Stahlformer am Hochofen. Heinz Höher wurde weiter als Student geführt. Er hatte sich selbst nun zwei offizielle Pausenjahre an der Hochschule verordnet.
Am sechsten Spieltag der Bundesliga machte Heinz Höher beim 3:0-Sieg gegen den TSV 1860 München vor 20000 Zuschauern unter Regenschirmen zum ersten Mal nicht nur nach fremden, sondern auch nach eigenem Empfinden ein Klassespiel. Vom nächsten Spieltag an wurde er nicht mehr aufgestellt.
Von 1963 ins Jahr 1944
Damals
Nach dem festlichen Mittagessen hätte Heinz Wachtmeister gerne seine eigene Hochzeit verlassen. All die anderen Männer gingen doch auch. In Köln stieg das Spitzenspiel der Fußballbundesliga, 1. FC Köln gegen den Meidericher SV. Dürfe er wirklich nicht mitgehen, fragte Heinz Wachtmeister die Frauen, mit denen er jäh alleine im Wohnzimmer des Elternhauses in Leverkusen saß, während seine Mutter das feine Porzellan für Kaffee und den Kuchen aus der
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