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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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der Kaiserstraße in die Hauptstraße, als er Holdorf mit dessen Frau vor dem Zeitungsbüdchen auf der anderen Straßenseite stehen sah. Er steuerte das Auto frontal auf Holdorf zu und bremste im letzten Moment, wobei er den letzten Moment ziemlich knapp berechnet hatte. Holdorf fand den Spaß nicht so witzig.
    Morgens im Bayer-Stadion ließ er sich von Holdorf Trainingsprogramme für Spitzenleichtathleten diktieren, Sprintpyramiden, dreimal 100 Meter, zweimal 200 Meter, einmal 300 Meter und wieder zweimal 200 Meter, dreimal 100 Meter mit nur ein oder zwei Minuten Pause zwischen den Sprints. Bald konnte Heinz Höher die 200 Meter unter 24 Sekunden laufen. Aber der Antritt, den er beim Skifahren im Westerwald verloren hatte, kam nicht wieder, bildete er sich ein. Ob er deswegen in Meiderich nicht spielte?
    Zwei Mal nur, in Nürnberg und in Frankfurt, setzte ihn Gutendorf in den kommenden sieben Monaten in der Bundesliga ein. Heinz Höher spielte in der Reisemannschaft.
    Jeden Sonntag, am Tag nach der Bundesliga, fuhr der Meidericher SV zum Geldverdienen in die Provinz. Für gut 1500 Mark Gage spielte die Elf in Orten wie Dinslaken, Hilden oder Lünen. Gleichzeitig sollte es ein besseres Training für die Spieler sein, die tags zuvor nicht zum Einsatz gekommen waren. Doch da die Börse auf die Hälfte reduziert wurde, wenn die Stars nicht antraten, mussten auch Spieler wie Helmut Rahn mindestens 45 Minuten ran, obwohl ihn die Achillessehne schon schmerzte. Torwart Manglitz spielte meistens die zweite Halbzeit Außenstürmer.
    Aber den Heinz, fand Horst Gecks, schien es nicht zu jucken, dass seine Bühne nun Kirmespartien in Dinslaken waren. Der Heinz, bemerkte Manfred Manglitz auf den gemeinsamen Fahrten zum Training, war eine coole Sau. Nie regte er sich auf, nie jammerte er.
    Heinz Höher gab auch den coolen Heinz, als Doris im Winter 1963 eine Nachricht für ihn hatte. Sie war schwanger. Sie wussten, was dies bedeutete: Sie mussten heiraten. Die Freunde, die sie einweihten, sagten: »So was Dummes, vor der Hochzeit noch was Junges.« Heinz Höher fand eher den Spruch dumm.
    Er hatte es sich, irgendwie, anders vorgestellt, Vater zu werden, wie sollte er es ausdrücken: geplanter. Aber wenigstens hatte sich nun die Frage von selbst gelöst, ob er Doris einen Hochzeitsantrag machen sollte.
    Wer ein Auge hatte, konnte bei der Hochzeit im Frühling 1964 mit einem Blick erkennen, warum Doris’ Hochzeitskleid am Bauch so spannte. Aber selbstverständlich taten die meisten, als würden sie nichts sehen.
    Alles hatte seine Ordnung. Als Heinz und Doris Höher zogen sie unmittelbar nach der Hochzeit zusammen, in die Mietswohnung des Dachdeckers Krämer in der ersten Etage der Hauptstraße 110. In der Wohnung, 25 Meter neben Betten-Höher, hatten schon Heinz Höhers Brüder Johannes und Manfred jeweils nach ihrer Hochzeit mit der Angetrauten gewohnt.
    Heinz Höher kehrte, als Ehemann und Ersatzspieler, zurück in seine Kindheit. In der Hauptstraße war er aufgewachsen. Er dachte weniger daran, was aus ihm geworden war, sondern wie es damals gewesen war.
    Mit sechs Jahren hatte er Leverkusen brennen sehen und sich gedacht, wie gewaltig schön das himmelhohe Feuer aussah. Er stand am Waldrand von Wermelskirchen, wohin man die Familie evakuiert hatte. Nach Leverkusen waren es über 20 Kilometer, aber die Flammen färbten den gesamten Horizont. Über 12000 Brandbomben warfen die alliierten Kampfflugzeuge über den Farbenfabriken ab, wo Tausende Zwangsarbeiter Öl und Gas für Hitlers Krieg produzieren mussten. Das Leid, das mit dem Luftangriff vom 26. Oktober 1944 auf Leverkusen verbunden war, konnte sich Heinz Höher nicht vorstellen. Für ihn, geboren 1938 und noch keine sieben Jahre alt, als die Nazis kapitulierten, blieb der Zweite Weltkrieg eine dramatische Kulisse ohne konkrete Schmerzen. Ihn traf nur eine Ohrfeige, die er nicht verstand.
    Der Vater war von den Nationalsozialisten als Leiter einer Sanitätsstation einberufen worden. Leiter, das musste ein wichtiger Mann sein, glaubte Heinz und fragte den Vater, wenn dieser alle 14 Tage für einen Samstag oder Sonntag nach Hause kam: Wann triffst du endlich Hitler, hast du Hitler diesmal getroffen? Der Vater tat, als hörte er nichts. Heinz fragte weiter. Hat euch Hitler besucht? Wenn du ihm die Hand gibst, darfst du sie dir nie mehr waschen. Da holte der Vater jäh aus, es war schon 1944 oder ’45, und schlug dem Sohn mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann schickte er ihn

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