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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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wortlos aus dem Raum.
    Heinz Höher hat ihn nie mehr nach den Nazis und dem Krieg gefragt.
    Ihr Haus und ihr Geschäft auf der Hauptstraße waren im Großen und Ganzen unversehrt, als sie im Sommer 1945 aus Wermelskirchen nach Leverkusen zurückkehrten. Johannes, der älteste Bruder, fehlte. Er war in französischer Gefangenschaft.
    Die Familie verteilte sich über die drei Stockwerke der 90a. Ihre eigentliche Wohnung lag im ersten Stock, wo die dreijährige Schwester bei den Eltern im Schlafzimmer schlief. Doch die Brüder Manfred und Edelbert wurden aus Platzmangel zu Familie Paaß im dritten Stock in ein Zimmer ausgelagert. Heinz teilte sich im zweiten Stock bei Frau Walter einen Raum mit der Haushälterin Edith. Frau Walter sollte er Tante nennen, trugen ihm die Eltern auf. Es war nicht schicklich, bei einer fremden Frau zu wohnen. Vom Rückfenster konnte er sehen, wie der Metzger Odenthal auf dem Hinterhof neben ihnen die Schweine abstach und den Viechern grob die Beine auseinanderriss, damit das Blut abfloss. Gelegentlich entwischte dem Metzger ein Schwein oder eine Kuh, dann liefen die Kinder auf die Hauptstraße und rannten schreiend und jubelnd neben dem Tier her.
    Johnny Braun hatte ein Luftgewehr. Damit legten sie sich auf dem Vorsprung beim Uhrmacher Rötzel auf die Lauer. Johnny war sein Freund, er ließ ihn oft schießen. Im Garten vom Uhrmacher Rötzel gab es so viele Ratten, dass er irgendeine immer traf.
    Die Ratten waren überall. Itti erzählte in der Schule, wie eine Ratte in seiner Hose am Bein hochgeklettert sei. Als er schrie, habe sein Vater zugegriffen und die Ratte an seinem Bein, in seiner Hose erwürgt.
    Samstags stand Heinz Höher zwei Stunden vor der Bäckerei Kämpgen an. Die Schlange zog sich mehrere Hundert Meter bis über die Kaiserstraße hinweg. Wenn er vorne am Laden angelangt war, löste ihn die Mutter oder einer der älteren Brüder ab, um das Brot zu kaufen, samstags gab es Weißbrot statt des mit Holzspänen gestreckten Roggenbrots. Sonntags musste Heinz Höher den Nachmittag über auf der Treppe in der Hauptstraße 90a sitzen. Eine Bande aus Manfort klingelte sonntags regelmäßig an den Türen. Wenn die Bewohner mit dem Türdrücker von oben öffneten, rannten die Manforter in den Flur und klauten die Glühbirnen aus den Lampen. Heinz Höher hielt Wache.
    Er und seine Schwester Hilla hatten nie das Gefühl, dass es ihnen schlecht ging. Im Geschäft hatten die Eltern zu tun, Stühle polstern, Gardinen nähen, gelegentlich sogar einen Lederball flicken. Der Vater war Ballwart von Bayer 04. Die Mutter brachte jeden Tag ein Essen auf den Tisch, freitags sogar einen Fisch, vielleicht gab es auch nur alle zwei Monate Fisch, aber in Heinz Höhers Gedächtnis hat sich eingebrannt, dass es freitags immer Fisch gab. Heinz und Hilla hielten ihre Familie für reich. Die großen Brüder erzählten nie, wie sie für die Eltern zum Vermieter gehen und um Stundung der Miete bitten mussten.
    1947 stand ein Mann vor der Tür. Dein Bruder Johannes, sagte die Mutter. Hilla setzte sich auf seinen Schoß. Mit fünf Jahren sah sie ihn zum ersten Mal im Leben. Johannes’ Hose kratzte fürchterlich. Er hatte in der Gefangenschaft für einen französischen Bauern gearbeitet und der kleinen Tochter dort das Rechnen beigebracht.
    Die Mutter schickte Heinz und Hilla jeden Sonntag in die Herz-Jesu-Kirche, diesen braunen Backsteinbau, der wie eine weitere Fabrikhalle von Bayer aussah. In den Ferien verlangte sie von ihren Kindern, dass sie jeden zweiten Tag in den Gottesdienst gingen. Er gehe nicht, sagte sich Heinz. Der Kaplan, der sie in katholischer Religion an der Schule erzog, hatte ihn geohrfeigt, weil er nicht zugehört hatte. Aus Rache würde er donnerstags nicht mehr in die 8:30-Uhr-Schulmesse gehen, schwor Heinz. Aber wenn Gott ihn dabei erwischte? Er fand einen Kompromiss, mit dem er hoffentlich sowohl Gott als auch seinem Stolz gerecht wurde. Er ging während der Messe in die Marienkapelle im Seitenflügel der Kirche. Dort wohnte er nicht wirklich dem Gottesdienst bei, fehlte aber auch nicht richtig.
    Er registrierte, dass das zerbombte Haus in der Hauptstraße 94 abgerissen wurde, dass in der Hauslücke Weihnachtsbäume verkauft wurden und dort schließlich ein neues Haus entstand. Aber er nahm nicht bewusst wahr, wie sich das Leben verbesserte. 1948 nahmen ihn Johannes und Manfred mit ins Müngersdorfer Stadion. Zum ersten Mal seit Kriegsende fand wieder ein Endspiel um die deutsche

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