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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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VfL Bochum zurück.

Das Ende der Siebziger
Ist es wirklich Zeit zu gehen?
    Später, als Zeitungskommentatoren im ganzen Land über die Verletzlichkeit seiner Seele spekulierten, bemerkte Heinz Höher, dass er etwas Unglaubliches getan hatte. Über siebzigmal war ein Trainer in der Bundesliga entlassen worden, aber am 7. August 1977 sagte ein Trainer zum ersten Mal, ich will den Posten nicht mehr. Die Fußballjournalisten waren in heller Aufregung. Heinz Höher hielt, nachdem er Präsident Wüst über seinen Rücktritt informiert hatte, seinen täglichen Mittagsschlaf.
    Er ließ das Telefon auch am Nachmittag klingeln. Doris musste ihn überreden, wenigstens Heinz Formanns Anruf entgegenzunehmen.
    Formann rief Höher für sein kuriosestes Gespräch an. Er musste dem zurückgetretenen Trainer harte Fragen stellen, um sich exklusiv Informationen über die spektakuläre Nachricht zu sichern, und gleichzeitig wollte er seinen Freund davon überzeugen, den Rücktritt zurückzunehmen. Formann erhielt von Höher Antworten, die ihn als Freund traurig stimmten und als Journalisten vor eine Herausforderung stellten. Die Zitate würden seine Leser zweimal studieren müssen, um sie zu verstehen. Heinz Höher, der auf einer anderen Ebene dachte als die meisten, sprach, wenn er mal sprach, auch auf einem höheren oder, besser gesagt, komplizierteren Niveau. Als ob im Sprachzentrum seines Gehirns die Synapsen feiner verästelt wären. Formann beherrschte Stenografie aus seinem alten Leben als Amtsmann, so schaffte er es mitzuschreiben, während Heinz Höher fein verästelte Sätze baute: »Ich lehne es ab, mir ein Schild umzuhängen, auf dem geschrieben steht: Ich bin unschuldig an Eggelings Meniskusoperation, ich bin unschuldig daran, dass sich Jürgen Köper den Unterschenkel brach, ich bin unschuldig daran, dass es jetzt Jupp Kaczor erwischt hat, ich bin unschuldig daran, dass dieser Verein so viele Jahre von so wenig Geld hat leben müssen. Alles, wirklich alles, habe ich versucht aufzufangen, weil ich mich diesem Verein eben mehr als nur ein Angestellter verpflichtet fühle. Jetzt kann ich nicht mehr. Ich bin ausgehöhlt, bin müde.«
    Die Gefühle flogen hoch, während Heinz Formann auf seiner Triumph-Adler den Bericht vom ersten freiwilligen Trainerabschied der Bundesliga formulierte. Die Journalisten machten sich immer vor, ein Bericht müsse rational, ausgewogen, objektiv sein, aber das war natürlich Blödsinn. Die besten Zeitungsartikel waren die leidenschaftlich geschriebenen. Der Schmerz über Heinz Höhers Abtritt, die Wut über den Verlust seines Trainerfreunds führte Formanns Finger: »Er hat genug von der üblen Stimmungsmache«, tippten seine Finger, fliegend, ganz selbstständig. Hah, der Borner von den Ruhr Nachrichten sollte ruhig spüren, dass seine dreiste Kampagne gegen Heinz Höher auch ein tiefer Grund des Rücktritts war. Die Melancholie übertünchte Formanns Zorn, da wühlten so viele Gefühle in ihm. Seine linke Kommentarspalte, sein Privatfeuilleton vom Montag, beendete er mit den Sätzen: »Manches ist schwer. Ein Fußball zum Beispiel. Das Leben auch. Wirklich leicht sind nur Kunststoff, Plastik, Sprüche.«
    Präsident Ottokar Wüst benötigte nicht lange, um seine Strategie nach Heinz Höhers Rücktritt zu wählen. Er würde den Rücktritt einfach nicht akzeptieren. Am Sonntagabend, einen Tag nach dem Spiel gegen Mönchengladbach, klingelte der Präsident in der Bonhoefferstraße 42.
    Heinz Höher bot Wüst ein Bier an und nahm selbst ein Bier und einen Klaren.
    Heinz, du darfst jetzt nicht aufgeben. Wir fangen gerade erst an. Versuche die Kraft aufzubringen, klar zu sehen: Dieter Bast trägt unser Trikot. Und in zwei Jahren stehen wir beide gemeinsam in einem wunderbaren Stadion an der Seitenlinie, eingehüllt in den Jubel von 40000 Zuschauern.
    Ich kann es nicht mehr durchstehen, weil ich alles wie mit der Lupe sehe: Wir spielen den besten Fußball, machen unheimliche Kraftakte, so wunderbare Jungs wie Tenhagen und Lameck gehen über ihre Grenzen hinaus, wir holen auch Punkte – aber am Ende wird nichts mehr gehen.
    Du stehst unter Schock, ich verstehe das. Aber du darfst dich nicht von den Gefühlen zu einer übereilten Entscheidung verleiten lassen, die du und ganz sicher wir noch lange bereuen würden.
    Wir können sicher mit einem Kraftakt ein paar gute Spiele hinbekommen, aber ohne Sturm kann man auf Dauer nicht leben.
    Heinz, über eine Verstärkung des Angriffs können wir reden. Von

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