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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Jahr kämpfen wir um den Meistertitel«, sagte Präsident Wüst im März 1977 dem Spiegel. Statt die Augenbrauen zu runzeln oder zu spotten, schrieb das Nachrichtenmagazin im Vorspann: »Die Erfolgsserie der Meisterklubs Bayern München und Borussia Mönchengladbach in der Fußballbundesliga riss ab. Duisburg und Bochum bauen ihre Stadien aus und melden Ansprüche auf die Nachfolge an.«
    Seit 1969 hieß der deutsche Meister entweder Bayern München oder Mönchengladbach, der FC Bayern hatte zudem mit den drei Europapokalsiegen von 1974 bis ’76 die Ahnung von einer Ära begründet. Doch in den späten Siebzigern siegte Mönchengladbach unter Trainer Udo Lattek deutlich konservativer als unter Vorgänger Weisweiler, und die Bayern-Elf um Maier, Beckenbauer, Müller war nach ihren Europapokalsiegen in eine fußballerische Midlife-Crisis geschlittert. Franz Beckenbauer stand es zu, das Ende der siegreichen Bayern quasioffiziell zu markieren, als er 1977 zu Cosmos New York wechselte. Fußball in Amerika würde ein ganz großes Ding werden. Beckenbauers Abgang mit 32 war nicht nur ein sportliches Schlusswort, sondern auch eine Frage der Liebe. Er lebte, obwohl verheiratet, mit einer neuen Frau zusammen, was in Deutschland für einen Fußballnationalspieler mit drei Söhnen gar nicht anging.
    Die Bundesliga wartete unterdessen gespannt auf den Thronfolger. Es verweilte der Glaube, dass jeder ein neues Bayern München oder Mönchengladbach werden konnte: Wenn ein Bundesligist in seiner Region eine außergewöhnliche Generation von Spielern entdeckte, einen wachen Trainer beschäftigte und über ein Stadion verfügte, das ihm das Geld für zwei Stareinkäufe beschaffte, gab es nichts, was diesen Klub aufhalten konnte, egal, ob er Bayern oder Bochum hieß. Bei Erscheinen des Spiegel- Artikels im März 1977 war Eintracht Braunschweig Spitzenreiter der Bundesliga, der MSV Duisburg Vierter. »Im deutschen Fußball steht ein Machtwechsel bevor«, erklärte Heinz Neuhaus, der Spielausschussobmann des MSV, der sich neuerdings Manager nannte: »Opas Traumklubs sind am Ende. Jetzt kommen wir.«
    Der VfL Bochum aber steckte weiter im Abstiegskampf. Vor allem auswärts blieb sein Spiel zu oft ein biederes, letztlich nutzloses Verteidigen. Dennoch träumten Ottokar Wüst und Heinz Höher nicht nur, die Konkurrenz sah in Bochum durchaus das Potenzial für einen Vormarsch.
    »Nicht Schalke oder Duisburg, sondern Bochum«, sagte Bayern Münchens Trainer Dettmar Cramer, »da ist niemand gerne hingefahren. Die haben wir wirklich gefürchtet.«
    Die ganze Woche vor dem jährlichen Spiel an der Castroper Straße ließ Cramer Gegenmittel für den Bochumer Überfall erproben. Wenn die Bochumer aus der Abwehr herausstürmten, sollten Cramers Spieler, und das war alles andere als leicht, den Pass in die Spitze verzögern. Sie versuchten, einmal mehr quer zu passen oder einen Haken zu schlagen und zwei Schritte quer zu dribbeln, um den eigenen Stürmern die Zeit zu geben, aus dem Abseits herauszulaufen. Dann mussten sie sofort mit einem langen Steilpass in den Rücken der Bochumer den Spielraum nutzen, den diese verlassen hatten. So weit die Theorie. Im Herbst 1976 lagen Dettmar Cramers Bayern in Bochum nach 53. Spielminuten 0:4 im Rückstand. In der vorletzten Spielminute gewannen die Münchner durch ein Tor von Uli Hoeneß noch 6:5. Die Machtübernahme war verhindert. Aber hatte das Spiel nicht gezeigt, dass sie möglich war?
    An den Tagen, an denen Heinz Höhers Visionen Wirklichkeit wurden, spielte Bochum im Angriff mit enormer Schnelligkeit und in der Defensive mit einem irritierenden System. Umdribbelte oder umspielte man einen Bochumer Spieler, lief dieser nicht mit, sondern es stellte sich einem ein paar Meter weiter der nächste Bochumer in den Weg: Heinz Höher hatte als Zweiter nach dem ungarischen Trainer Gyula Lorant in der Bundesliga Elemente der Raumdeckung eingeführt.
    Die Gegner kamen sich in diesem Bochumer Versuch einer Raum-Mann-Mischdeckung oft wie in einem Labyrinth vor; wo sie einen Mann umspielten und einen Weg sahen, tauchte schon der nächste Bochumer als Wand auf. Wobei dieses Experiment mit Raumdeckung nicht immer Erfolg verzeichnete, wie sein Spieler Hermann Gerland Heinz Höher nach dem 2:4 gegen Mönchengladbach in der Saison 76/77 eröffnete: Trainer, Sie haben gesagt, ich soll den Jupp Heynckes laufen lassen, wenn er an mir vorbei ist – und so hat er drei Tore geschossen.
    Als die Ungarn im

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