Spieltage
In Vergessenheit geriet, dass Wüst und Höher höhere Ambitionen, schönere Träume gehabt hatten.
Zum ersten Mal nach zehn Jahren hieß der deutsche Meister 1978 nicht Mönchengladbach oder Bayern München, aber ihr Nachfolger war nicht, wie im Spiegel angekündigt, Duisburg oder Bochum, sondern eine etablierte Spitzenkraft, der 1. FC Köln.
Sie brauchten nur noch ein, zwei Klassespieler, um aus ihrer Mannschaft eine besondere zu machen, hatten Wüst und Höher gehofft. Sie erlebten 1978, was mit ihrer Elf passierte, wenn nur ein, zwei Fussballspieler verletzt waren oder nicht die erträumte Höchstleistung brachten.
Was hältst du von Dieter Bast?, fragte Heinz Höher plötzlich in die übliche Stille hinein, während ihn Jürgen Köper in seinem Auto mit zum Training nahm. Es war ein Tabu, dass ein Spieler mit dem Trainer zur Arbeit fuhr. Aber Jürgen Köper hatte sich nicht dagegen wehren können. Heinz Höher hatte ihm aufgetragen, ihn mitzunehmen. Höher wollte vom Training nach Hause laufen, deswegen konnte er nicht mit dem eigenen Wagen zur Arbeit fahren. Außerdem gefiel es ihm nicht schlecht, chauffiert zu werden.
Was hat er während der Autofahrt erzählt?, fragten die Mitspieler Köper im Training neugierig.
Nichts, sagte Köper, und die Mitspieler glaubten ihm natürlich nicht, sie dachten, er behält die Informationen und Ansichten des Trainers für sich. Aber Heinz Höher redete wirklich nichts auf den Fahrten zum Training. Manchmal vergaß er sogar beim Einsteigen, Köper einen guten Morgen zu wünschen.
Aber plötzlich hing diese Frage im Raum: Was hältst du von Dieter Bast?
Jürgen Köper zögerte. Was sollte er sagen? Er musste dem Trainer eine ehrliche Einschätzung geben, der Trainer musste merken, dass er etwas vom Fußball verstand. Andererseits konnte er nicht vor dem Trainer über einen Kollegen schlecht reden. Jürgen Köper entschied sich, die vorsichtige Wahrheit zu sagen.
Eigentlich bin ich ein kleines bisschen von Dieter Bast enttäuscht.
Heinz Höher antwortete nicht. Als hätte es diesen Dialog nie gegeben, fuhren sie wie gewohnt schweigend weiter.
Dieter Bast offenbarte in Bochum alles, was sie bei Rot-Weiss Essen an ihm geschätzt hatten, den Steilpass, das Dribbling, die Tore. Aber er konnte es nur in geringen Dosen zeigen. Wie hatte er übersehen können, dass Bast zwischen seinen feinen Aktionen immer längere Pausen benötigte, fragte sich Heinz Höher verzweifelt. Bast hatte die Muskeln eines Sprinters. Nach einem Antritt waren sie übersäuert. Heinz Höher funktionierte ihn zum Libero um. Dort hatte er die Pausen, dort erfüllte er sein Soll. Aber für die Liberoposition hatte Höher einige ordentliche Alternativen gehabt, Tenhagen, Franke, Fromm, sie hätten nicht 800000 Mark ausgeben müssen, um noch eine zu erhalten. Sie hatten einen Schuss frei gehabt, um aus Bochum etwas Besseres als den ewigen Überlebenden zu machen, und hatten nicht getroffen.
Heinz Höher ging in sein siebtes Jahr als Trainer in Bochum. Für so manchen war er zu lange da. Er machte nicht weniger richtig, nicht mehr falsch als im ersten Jahr, bloß nach sieben Jahren konnten ihn manche nur noch schlecht ertragen; die Zeit heilt nicht nur Wunden, sie verschleißt auch menschliche Beziehungen. Es war ein unreflektiertes Ritual der Bochumer Fans geworden, nach einer Viertelstunde müden Fußballs »Höher raus!« zu rufen. Karlheinz Antico, der Metzgermeister im Aufsichtsrat, trug seine gärende Unzufriedenheit mit dem Trainer immer offener zur Schau. Höher trank so viel und redete so komisch. Am Abend vor einem Auswärtsspiel in Bremen schlich sich Heinz Höher mit dem Spielausschussbeisitzer Paul Kortmann heimlich aus dem Hotel, um zwei Bier und einen Klaren zu trinken, für einen kurzen Moment fragte sich Höher: Mein Gott, was machen wir, ein über 70-jähriger und ein 40-jähriger Mann, die aus Angst vor Antico verstohlen wie Jugendliche aus dem Hotel türmen.
Auch Borner von den Ruhr Nachrichten konnte seine Sehnsucht, einfach mal ein neues Gesicht als Trainer zu sehen, schwer unterdrücken. Seine Berichte lasen sich immer öfter so: »Gibt es eigentlich so etwas Ähnliches wie ein Bochumer System? Dies jedenfalls gab es schon immer: nahezu perfekte Quer- und Rückpässe. In der Vorwärtsbewegung drängt sich die Vokabel ›holterdipolter‹ von selbst auf.« Und das war sein Urteil nach einem Bochumer Sieg.
Es war ihm doch egal, was der Borner schrieb, sagte sich Heinz Höher –
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