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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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glich, je nachdem, auf welche Seite man es wendete, Erleichterung oder Furcht.
    Weil es keinen Grund gab, sich zu vertagen, endete die Verhandlung wie vorgesehen am späten Nachmittag. Die Fakten des Geschehens lagen offen wie ein aufgeschlagenes Buch, nur dass die Sprache darin plötzlich nicht mehr verständlich war. Alev bekam sechs Monate Jugendstrafe auf Bewährung wegen Erpressung, Nötigung und sexuellen Missbrauchs in mittelbarer Täterschaft. Smutek wurde mit Hilfe einer aufwendigen rechtlichen Konstruktion in Anlehnung an eine Mindermeinung zum so genannten Bratpfannen-Fall vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen. Eine Frau hatte ihren Ehemann, welcher sie über Monate psychisch und physisch grausam terrorisierte, im Schlaf mit einer Bratpfanne erschlagen. Weil im Moment der Tat keine akute Angriffssituation vorgelegen hatte, waren die Gerichte nicht von einer Notwehrhandlung ausgegangen, während einige Stimmen in der Literatur wegen der andauernden Tyrannisierung eine notwehrähnliche Lage annehmen wollten. Der letztgenannten Beurteilung schloss die kalte Sophie sich an und konstruierte aufgrund des Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke zugunsten des Angeklagten eine Analogie zu Paragraph 32. Bezüglich des sexuellen Missbrauchs am ersten Freitagnachmittag sah sie nach Paragraph 174, Absatz IV des Strafgesetzbuches wegen der dominanten Rolle der ihn verführenden Schutzbefohlenen von Strafe ab, in allen weiteren Fällen wurde wegen der Erpressung die Schuld des Angeklagten verneint. Nachdem das Urteil verkündet war, die kalte Sophie sich erhoben hatte und erschöpft wie eine alte Frau beide Hände flach auf das Pult stützte, bat Alev ein letztes Mal um das Wort.
    »Habe ich recht verstanden, dass derjenige mit der halbierten Zunge und dem zerquetschten Gesicht als Einziger ins Gefängnis wandert, während alle anderen frei in den kühlen Abend hinauslaufen?«
    »Sie wandern nicht ins Gefängnis, sondern auf Bewährung in Ihr Leben zurück. Ob das etwas Ähnliches bedeutet, müssen Sie selbst entscheiden.«
    »Aber ich bin der einzig Verurteilte?«
    »Herr Smutek wurde ebenfalls verurteilt. Das Gericht hat von Strafe abgesehen.«
    »Dann bin ich der einzige Bestrafte?«
    »Vielleicht könnte man es so fassen.«
    »Danke. Das war wichtig. Sie haben den Verlierer des Spiels verurteilt und recht daran getan. Die Verhandlung hat die meisten meiner Thesen bestätigt und mir ein paar zusätzliche Denkanstöße beschert.«
    »Gehen Sie aufgrund dessen mit leichtem Herzen nach Hause?«
    »Ich gehe nicht nach Hause, sondern ins Krankenhaus zurück. Aber mein Herz, danke der Nachfrage, ist leicht.«
    Sie alle verließen leichten Herzens den Ort des Geschehens. Der Abend hatte noch nicht vor, sich zu neigen, Luft, Licht und Vögel behaupteten einen Novembervormittag. Der Verkehr auf den Straßen war fast zum Erliegen gekommen, die Menschen saßen aus Protest gegen den ausgefallenen Sommer in dicken Jacken vor den Cafes, warteten auf das erste Bier des Wochenendes und träumten von den sonnenwarmen Mauern kleiner alter Häuser, von Meeresbrandung, weit aufgespannten Himmelszelten und dem Knirschen sauberer Kieswege unter den Füßen.
    Smutek trug seinen Kopf wie einen gasgefüllten Ballon einige Meter über dem Körper, schaute sich zwinkernd auf dem Gehweg um und bestaunte alle Passanten als Wunder der Natur. Ada, die auf dem Sportplatz ihre Runden lief, wurde von einem hartnäckigen Siegerlächeln belästigt, das sich gleich einem nervösen Muskelzucken nicht vertreiben ließ. Der Staatsanwalt fühlte einen reizend spöttischen Blick der kalten Sophie auf dem Gesicht, der ihm die Wangen wärmte, seit er nach Verkündung des Urteils sogleich ein Rechtsmittel angekündigt hatte. Irgendeins. Er hatte vergessen, welches es war.
    Die kalte Sophie ging mit dem Gefühl nach Hause, gegen besseres Wissen und Wollen etwas richtig gemacht zu haben. Später am Abend, während sie allein in der Küche ihrer Wohnung eine leichte Mahlzeit verzehrte, wuchs der Eindruck, es befinde sich etwas Böses im Raum, das sie in Ermangelung eines passenden Sinnesorgans nicht genau wahrnehmen konnte, etwas Unwägbares, der Schatten einer nicht ganz ausgestandenen Gefahr. Vor dem Einschlafen dachte sie lange an Ada und spürte ihr Herz schlagen wie beim Gedanken an eine ferne Tochter, von der sie getrennt leben musste, weil sie keine Tochter hatte und niemals eine haben würde.
    Auch Ada dachte an die kalte Sophie. Als sie

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