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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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so, Kleinchen. Es spielt keine Rolle.«
    »Wirst du Odetta heiraten?«
    Erneut begann er zu lachen, fast auf gleiche Weise wie früher.
    »Wie altmodisch du manchmal bist! Jedenfalls werde ich sie fragen, ob sie mit mir kommt, und sie wird ablehnen. Unter Tränen.«
    Sie stand auf und gab ihm die Hand. Alev hielt sie fest.
    »Stimmt es«, sagte er, »dass wir uns in diesem Augenblick zum letzten Mal sehen?«
    »So ist es.«
    »Gut«, sagte er, das Lächeln unverändert, die Augen sanft.
    »Ich wünsche dir nur Gutes. Ich werde weitermachen. Du wirst in den Nachrichten von mir hören. An meinem vierzigsten Geburtstag werde ich dich suchen, und wenn du dann noch allein sein solltest, gehörst du mir. Einverstanden?«
    »Ich habe dich geliebt«, sagte sie.
    »Ich dich auch«, sagte er. »Auf meine Art.«
    Sie drückten sich die Hände. Ada beugte sich vor, küsste sein Lambda und ging, um Koffer zu packen.
    Kolophon, Epilog oder: Zwischen den Instanzen
    D ie nächste Instanz braucht Zeit. Drei Monate? Ein halbes Jahr. Vielleicht ein Jahr. Oder zwei. Die Mühlen der Gerechtigkeit mahlen langsam. Zwischen den Instanzen lässt es sich für eine Weile gut leben.
    Ada und Smutek fuhren am gleichen Tag nach Einbruch der Dunkelheit. Der Volvo war voll getankt, der Fahrer ausgeruht, die Außentemperatur filmreif: zehn Grad über null im späten Juli. Ada trug ein Sommerkleid, das ihrer Gestalt etwas Fließendes verlieh und Smutek zwang, die Innenheizung weit aufzudrehen. Die Mutter hatte es ihr geschenkt. Unter dem Druck des Abschieds war irgendwann das Schweigen splitternd wie Glas geborsten. Also dann. Tschüs! - Warte einen Moment. - Die Mutter war in die Wohnung gelaufen und nach kurzem Rumoren mit einem bunten Stück Stoff zurückgekehrt, das sie Ada quer über die Arme legte. Hier, damit du was Hübsches hast. Mitten im Treppenhaus hatte Ada sich umgezogen, Jeans und T-Shirt bei der Mutter gelassen und ihren Winterparka über die Schultern geworfen. Beim AufWiedersehen-Sagen umarmten sie sich.
    Zu Fuß, den Plastikkoffer auf Rollen hinter sich herziehend, war Ada eine halbe Stunde die ehemalige Diplomatenrennmeile entlanggegangen. Der Wind kam von hinten, der Rock des Kleides presste sich um die Kniekehlen, vorbeirasende Autos zogen ihr Hupen wie Wolfsgeheul durch die Nacht. Unter der Südbrücke verlud Smutek den Koffer, danach gaben sie sich zur Begrüßung die Hand. Kaum saßen sie im Wagen, verwandelten sich die Straßen in Flüsse. Die Orkanwarnung hatte das Radio zurückgenommen, der Regen blieb. Das Auto schien sich unter Wasser zu bewegen, sinnlos fuhren die Wischer auf der Frontscheibe hin und her. Smutek beugte sich weit über das Lenkrad. Sie nahmen die Auffahrt über das Siebengebirge und erreichten die A3 in südlicher Richtung.
    Ich glaube nicht, dass Ada gefragt hat, wohin die Reise gehen solle. Natürlich wollte Smutek erst einmal nach Wien, in die Heimat der Männer ohne Eigenschaften. Ada war es gleich. Auf der Höhe von Frankfurt wurde der Regen schwächer. Bei Würzburg legte sie eine CD ein und sang die ganze Platte bis hinter Nürnberg. Hold on to me love, you know I can't stay long. Sweet rapture and life, it ends here tonight. Smutek begann zu weinen, er hatte nicht gewusst, dass Ada so singen konnte. Sie löste den Sicherheitsgurt, legte sich quer über Handbremse und Gangschaltung, grub einen Arm hinter seinen Rücken und presste die Nase gegen seine vibrierende Bauchdecke. Die Berührung war merkwürdig. Sie waren einander unvertraut, als hätte Ada soeben als Anhalterin an einem Rastplatz den Wagen bestiegen. Sie spürte die Spannung seiner Oberschenkel, wenn er Gas, Bremse oder Kupplung betätigte. Bei Passau hörte er auf zu heulen.
    »Wenn wir mit Wien fertig sind«, sagte er, »fahren wir weiter Richtung Südosten. Ins verletzte Herz Europas, in den vivise-zierten Kern unserer Geschichte. Unser Zeitalter wird nicht genesen, bevor die Wunden auf jenem Flecken Erde nicht vernarbt sind. Dort werden wir uns zu Hause fühlen.«
    »Ist gut«, sagte Ada. Bei Linz schlief sie ein.
    Und so fahren sie dahin, während ich am Fenster eines Hauses sitze, das durch einen geräumigen Vorgarten von der Straße getrennt liegt, hinter schmiedeeisernen Gittern, durch dessen Stäbe der Rhododendron seine fleischigen Finger steckt, um den Passanten an die Schultern zu fassen, und darüber nachdenke, dass gerade die Richter zu Angeklagten werden, wenn die Zeiten sich wenden. Ein neues System räumt die Relikte

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