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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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damit beschäftigt, auf Adas Heimkehr zu warten. Dass sie jetzt nicht aus ihrem Zimmer trat, um die Uhrzeit und den Verlauf der Nacht zu diskutieren, lag entweder an der Hochachtung vor Olafs Geburtstag oder daran, dass Ada schon verloren gegeben war. Bevor Ada im Hemd des fremden Mädchens zu Bett ging, flüsterte sie fast tonlos vor der Elternschlafzimmertür: Danke, Mutter.
    Wo ist Olaf? - Ada versprach, es werde alles in Ordnung kommen. Wenn nicht die Sache mit Olaf und ihr, so doch wenigstens der ganze Rest der Welt. Die Sommerferien unterbrachen alle Abläufe und blockierten sämtliche Fragen. Ada begleitete den Brigadegeneral auf einer vierwöchigen Segeltour in der Adria.
    Zu Beginn des neuen Schuljahrs kam Alev auf Ernst-Bloch.
    Alev
    E r war in der Nähe von Kairo geboren. Er hatte die Proportionen eines großen Mannes mit breiten Handgelenken, kräftigem Schädel und den Schultern eines Holzfällers, war dabei aber von geringer Körperhöhe. Seine Augen, deren Winkel wie bei einer Sphinx auf die Schläfen zielten, waren leicht geschlitzt. Die Brauen bildeten breite, schwarze, seitlich aufwärtsstrebende Striche, die Fingernägel der rechten Hand trug er lang und pflegte sie mit einer Feile. Sein Mund war groß und immer zum Lachen bereit. Plötzlich saß er auf Adas Platz direkt neben der Tür. Sie wechselte auf die andere Zimmerseite, zog sich in die hinterste Ecke zurück und setzte sich mit dem Rücken zur Fensterfront. Die Geographie des Raumes hatte sich verändert wie nach einer plattentektonischen Verschiebung, die Klassen waren aufgelöst und von Leistungskursstrukturen durcheinander geschüttelt worden. Willkommen in der Oberstufe.
    Vorne stand Smutek und informierte den Kurs darüber, dass er ab jetzt verpflichtet sei, die Schüler zu siezen, falls sie nicht einstimmig das >Du< erlaubten. Auf die Frage, wer auf dem förmlichen >Sie< bestehe, herrschte ein paar Sekunden Schweigen, dann ging Alevs Finger im dramaturgisch perfekten Augenblick in die Höhe. Smutek warf einen Blick ins Klassenbuch.
    »Sie sind neu. Herr El Qamar, nehme ich an? Sie ziehen es vor, gesiezt zu werden?« Alev kippte auf den hinteren Stuhlbeinen zurück, lehnte sich mit ausgebreiteten Armen an die Wand und lächelte breit wie ein Popstar, nachdem er zu Beginn der Show an den vorderen Bühnenrand gelaufen ist.
    »Tak jest, panie Smutek«, sagte er.
    Smutek gab sich keine Mühe, sein Erstaunen zu verbergen.
    »Sie beherrschen die polnische Sprache?«
    »Ich habe mich als Kind entschlossen, das Diktum Babels nicht zu akzeptieren«, sagte Alev. »Wie Sie bestimmt wissen, sind die meisten Dinge im Leben eine Frage des Willens. Des Willens zur Macht.«
    »Inshallah«, erwiderte Smutek und erntete das Lachen all jener, die Alev auf den ersten Blick unsympathisch fanden. Ada merkte erst, dass sie ihn anstarrte, als sein Blick sie traf, frei und unbefangen und mitten ins Gesicht. Es war sofort klar, dass sie es war, die als Erste die Augen abwenden musste, wenn sie nicht wollte, dass sie am Nachmittag immer noch dort säßen, einander im geleerten Klassenzimmer fixierend wie Panther und Puma in getrennten Käfigen.
    »Was hielten Sie davon, wenn wir uns auf >Sie< und Vornamen einigten?«
    »Einverstanden.« Alev nickte ernsthaft, ließ sich samt Stuhl wieder nach vorne fallen und tat so, als notierte er etwas in seinen Unterlagen. »Alev mein Name. Hinten mit >V< wie Vanitas.«
    »Wenn Sie gerade dabei sind, sich vorzustellen«, sagte Smu-tek, »fahren Sie doch gleich fort und erzählen uns ein bisschen über sich selbst.«
    »Gern.« Er beendete seine angeblichen Notizen, schraubte die Kappe auf den schweren Mont Blanc jenes Typs, mit dem Teuter sich gegen die Zähne zu klopfen pflegte, und erhob sich. Die Hände stellte er mit steif abgespreizten Fingern wie kleine, fünfbeinige Tiere auf der Tischplatte ab.
    »Alev El Qamar, Halb-Ägypter, Viertel-Franzose, aufgewachsen in Deutschland, Österreich, Irak, den Vereinigten Staaten und Bosnien-Herzegowina, derzeit wohnhaft in einer Godesberger Pension. Achtzehn Jahre, zehn Schulen, kein Rausschmiss, zweimal sitzen geblieben. Warum ich in dieser Stadt und auf Ernst-Bloch gelandet bin, habe ich selbst nicht hundertprozentig verstanden. Ich denke, dieses Institut steht im Ruf einer Wiederaufbereitungsanlage für verlorene Seelen.«
    In der Klasse wurde gelacht. Alevs Körperenergie war enorm, er hatte eine Ausstrahlung, die einen Raum von dieser Größe mühelos beherrschte; selbst vor

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