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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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in einem minutenlangen Blowjob. Sie ließ die Szene mehrmals zurücklaufen und erneut abspielen, studierte Kopf- und Körperhaltung der Assistentin und prägte sich den Winkel ein, in den sie den Schaft des Kunden zu ihrem Gesicht brachte, da die geometrischen Details dieser Technik etwas mit der Vermeidung von Würgereiz und Atemnot zu tun haben mussten. Am besten gefiel ihr der Moment, in dem die Assistentin den Schwanz mit einer Hand an der Spitze hielt, mit den Fingern der anderen einen Ring um die Wurzel schloss und die Zunge von unten nach oben daran entlanggleiten ließ. Die rauchigen Rundum-Service-Sprüche der Maklerin störten das Schauspiel mehr, als es zu befördern. Im Weiteren stritten die Frauen darüber, welche von ihnen den Fall zu einem gelungenen Abschluss bringen sollte, wobei die Assistentin, die Gefallen am Kunden fand und sich bereits kniend auf seinem rechten Fuß niedergelassen hatte, um sich an der Oberseite seines Lackschuhs zu reiben, der dominanten Chefin sogleich unterlag. Diese kam über den Schreibtisch gekrochen und brachte sich in Position. Der Rest ging wie von selbst, und danach war die Episode zu Ende.
    Nach der siebten Wiederholung hatte Ada genug, die anderen Videokassetten blieben unangetastet in den weißen Einheitshüllen. Als die Jalousien in ihre Ausgangsposition brummten, flutete nervtötender Nachmittag ins Zimmer, und Ada fühlte sich förmlich bespuckt vom gelben Sonnenlicht. Sie verließ den Videoraum mit hochgezogenen Schultern wie ein Dieb, befahl sich auf dem Flur, den Rücken zu straffen und das Kinn hoch zu tragen, und verließ mit ihrer Tüte, die mit dem Logo des größten Buchhändlers der Stadt bedruckt war, das Schulgebäude.
    Zu Hause konnte sie nicht anders, als sich rittlings auf der Kante ihres Bettes Erleichterung zu verschaffen, wobei sie den Kopf schräg hielt und ein Ohr zur Tür wandte, um den Schritt der Mutter auf der Treppe nicht zu verpassen. Danach schob sie die Plastiktüte hinter das Regal, schloss sich mit Balzac auf der Toilette ein und fragte nicht nach Gründen.
    Olafs Entjungferung
    S päter wurde es schwieriger, die Frage zu vermeiden, ob sie genau das beabsichtigt hatte: Demontage und Kaputtschlagen aus blanker Zerstörungswut, aus Unfähigkeit, die Dinge so zu lassen, wie sie waren, vor allem, wenn sie gut oder auch nur erträglich schienen. Hier lag wohl die Grenze von Adas Apathie. Alles musste in Bewegung bleiben, voranschreiten, dem eigenen Untergang entgegen, weil es naturgemäß keine andere Richtung gab, für Menschen nicht und nicht für Dinge. Gegebenenfalls musste man nachhelfen, zum Beispiel mit einem Schlagring. Trat irgendwo ein Moment von Gleichgewicht und Stabilität ein, kroch gleich ein Zwang zur Verwüstung das Rückenmark hinauf, befiel die Gehirnwindungen, färbte die Gedanken, stellte Weichen und traf Entscheidungen. Ada wusste von der Existenz winziger Insekten, die sich in die Ganglien eines Wirtstiers setzen und dessen Körper bedienen wie ein Sternenkrieger sein futuristisches Fahrzeug. Das war die Herrschaft des Kleinsten über das Größte, die stets zerstörerischen Zwecken dient, während zum Erreichen des Guten immer das Größte dem Kleinsten diktieren muss. Oder vielleicht war es genau umgekehrt. Die meisten Fragen von Gewicht entpuppten sich bei näherer Betrachtung als ein rhetorisches Problem.
    Im Nachhinein redete Ada sich darauf hinaus, es tue ihr am meisten für die Mutter leid, die sich den netten Olaf für ihr Mädchen gewünscht hatte und keine gewichtigen, sondern all jene leichten Fragen stellte, die Ada sich verbot: Will er nicht mal wieder kommen? Was ist denn mit ihm, wie geht es ihm? Habt ihr euch gestritten, seid ihr nicht mehr zusammen? Ada brachte es nicht übers Herz, ihr zu antworten, dass es niemals ein >Zusammen< gegeben habe, sondern nur ein einigermaßen erfolgreiches Nebeneinander, und dass Olaf sie nicht mehr sehen wolle, weil sie ihm auf seiner Geburtstagsfeier einen geblasen hatte und er ihr seitdem nicht mehr ins Gesicht sehen konnte, als fürchtete er, die angetrockneten Überreste seines Spermas darin zu entdecken.
    Mehr als alle Fragen verfolgte Ada in Wahrheit der Gedanke an Olafs Blick im entscheidenden Moment des Begreifens. Er hatte sie angesehen mit den Augen eines Tiers, das von der Hand seines geliebten Herrn niedergestochen wird, nachdem es ihm treu und vertrauensvoll auf die Schlachtbank gefolgt ist Das Bild dieses Gesichtsausdrucks wollte lebendig bleiben, es

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