Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
»Lassen Sie sich gesagt sein, die meisten Mörder verwenden keine Taue, die nur in einem einsam und verborgen gelegenen tibetanischen Kloster hergestellt werden!«, höhnte er laut. Die Kollegen grinsten schadenfroh. Diesmal traf der Spott Dr. Teufels ausnahmsweise mal keinen von ihnen, und der Neue sollte sich am besten gleich an den rauen Ton gewöhnen.
»Todesursache?« Mangold hatte nicht die Absicht, sich provozieren zu lassen. »Irgendeine Hypothese, mit der ich arbeiten kann?«
»Nun«, schnupperte Dr. Teufel hektisch wie ein Spürhund, »ich würde sagen, falls er nicht an einer Alkoholvergiftung gestorben ist, war wohl eine Stichverletzung die tödliche Ursache.« Dabei wies er auf den unübersehbaren Blutfleck auf dem Hemd des Opfers und grinste maliziös. Mangold fand seinen ersten Eindruck bestätigt: Der Kerl war unsympathisch.
Zügig, mit geübten Fingern, knöpfte der Rechtsmediziner das Hemd auf. »Direkt ins Herz, nehme ich an.« Vorsichtig betasteten seine behandschuhten Finger den Bereich um den jetzt deutlich sichtbaren Einstich. »Wahrscheinliche Stichrichtung: Schräg aufwärts.« Er beugte sich etwas tiefer über den Brustkorb des Toten. »Klinge möglicherweise gezahnt. Aber das kann ich erst nach der Obduktion genau sagen.«
»Also gehen wir davon aus, dass der Täter kleiner war als sein Opfer«, wagte Mangold ein Statement und wurde prompt zurechtgewiesen.
»Gratuliere. Auf der Polizeischule gut aufgepasst, wie? Den Spruch kenne ich schon seit 100 Jahren! Und was ist, wenn der Täter gesessen und dem Opfer die Todeskälte schenkende Klinge unvermutet beim Aufstehen in die Brust gestoßen hätte? Verliefe in diesem Fall der Stichkanal nicht ebenso?«
Mangold nickte vage.
Er kam sich vor wie beim Examen, fürchtete, in eine Falle gelockt zu werden. Gleich würde Dr. Teufel triumphierend verkünden, dass der Stichkanal in dieser Situation natürlich nicht ebenso, sondern völlig anders verlaufe. Er revidierte sein Urteil. Der Kerl war nicht nur unsympathisch, er war ein Widerling!
»Oder es war ein Unfall! Jemand hielt zufällig eine lange Klinge in den Weg des Opfers, als dieses gerade strauchelte und ungeschickterweise den Tod fand«, kicherte Ankekatrin Kruse und zwinkerte Mangold verschwörerisch zu.
»Oh, welch grandiose Idee, Frau Kruse! So wird es wohl gewesen sein. Und was wir hier sehen, ist das Ergebnis des ungeschickten Versuchs, die Leiche unauffällig verschwinden zu lassen?«
»Der Kreativität sind manchmal keine Grenzen gesetzt. Der Mörder hoffte auf ein neues Jahrhunderthochwasser«, gab die junge Frau unbeeindruckt zurück.
Mangold begann sich zu ärgern. Hier fehlte jede Ernsthaftigkeit.
»Selbstmord ist per se auszuschließen«, begann er unterkühlt. »Er hätte sich weder zuerst erstechen und danach derartig aufhängen können – noch wäre es ihm möglich gewesen, sich erst aufzuhängen und in einem zweiten Schritt die Klinge ins Herz zu stoßen. Seine Arme waren ja nicht mehr beweglich. Demnach also Mord! Erst der Stich und im Anschluss das Drapieren oder umgekehrt. Klar ist, der Täter wollte, dass man das Opfer in einer Position findet, die an eine Kreuzigung erinnert. Und der Tote sollte möglichst bald gefunden werden. Sonst wäre der Mörder anders vorgegangen, hätte die Leiche versteckt. Ausgehend davon, dass man schon vor mehr als 2.000 Jahren für Vergehen und Sünden ans Kreuz geschlagen wurde, können wir demnach als sicher annehmen, dass dieser Mann sterben musste, weil er in den Augen eines anderen etwas verbrochen hatte.«
Kruse und Teufel starrten ihm sekundenlang sprachlos ins Gesicht.
»Alle Achtung. Und all das ohne Luftnot! Wirklich beeindruckend. Soll ich ihn nun noch obduzieren oder reichen Ihnen Ihre eigenen Erkenntnisse? Sie kennen vielleicht auch schon die Adresse des Täters?«, fragte Dr. Teufel ätzend, drehte sich grußlos um und stapfte davon.
»Auweia. Da haben Sie nicht gerade einen neuen Freund gewonnen, Herr Mangold. Sonst zieht immer Dr. Teufel die ersten Schlussfolgerungen am Tatort – und wir sehen voll Bewunderung zu ihm auf, hängen an seinen dünnen, blassen Lippen, als verkünde er ein neues Evangelium. Und nun kommt ein neuer Hauptkommissar und maßt sich an, seine Schlüsse selbst zu ziehen. Das wird er Ihnen bitter übelnehmen!«
»Soll er doch«, antwortete Mangold und kämpfte gegen das aufsteigende Unbehagen an.
»Guten Morgen!« Ein gut gekleideter Herr bahnte sich langsam seinen Weg durch die
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