Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
nicht mehr hier – und ich wurde Herrn Mangold zugeteilt, weil er hier neu ist und ich frei bin. Sind damit all Ihre Fragen beantwortet?«, erkundigte sie sich schnippisch.
Der Techniker zog rasch den Kopf ein und verschwand zur Gänze unter dem Tisch. »Tut sich was auf dem Monitor?«, rettete er sich auf sachliches Terrain. Offensichtlich war dieses Thema eines, an dem man besser nicht rührte. Plötzlich fiel ihm wieder ein, dass es Gerüchte über eine intime Beziehung zwischen Lentsch und Kruse gegeben hatte. Wie hatte er das nur vergessen können, wo doch die halbe Abteilung tuschelte, Frau Lentsch habe die Versetzung ihres Mannes betrieben! Na, dachte er ein wenig gehässig, da haben sich ja die beiden Richtigen gefunden. Wenigstens dann, wenn man den Gerüchten glauben durfte, die aus Leipzig nach Dresden getröpfelt waren. »Gut. Versuchen Sie mal, sich ins Intranet einzuloggen.«
Nach wenigen Minuten konnte der Techniker den geordneten Rückzug antreten.
Hajo Mangold kehrte kurz darauf mit zwei eisgekühlten Dosen Mineralwasser zurück. »Was für eine Hitze!«
»Ja! Wunderbares Wetter, nicht wahr?«, strahlte die Kollegin ihn an und er lachte kehlig.
»Na, dann lassen Sie uns trotz des Sommerwetters planen, wie wir weiter vorgehen wollen.«
»Der Nachtportier des Hotels ist nicht zu erreichen. Ich nehme an, er schläft. Bestimmt hat er sein Telefon ausgeschaltet, damit ihn niemand stört. Die Tagschicht jedenfalls hat den prominenten Gast heute noch nicht gesehen. Beim Frühstück war er nicht. Entweder ist er also sehr früh aus dem Haus gegangen oder er war in der letzten Nacht überhaupt nicht im Hotel«, fasste Mangold zusammen.
»Es ist doch eine Delegation! Wissen denn die anderen nichts über seine Pläne?«
»Das müssen wir sie fragen. Aber dazu werden wir einen Übersetzer brauchen.«
Der Oberkellner wirkte fast beleidigt.
Seine Miene drückte alles auf einmal aus: Abscheu, Ekel, Empörung, Entsetzen, Neugier.
»Er ist verstorben, sagen Sie?« Rasch gab er das Foto wieder an Mangold zurück, als könne man sich durch Berührung mit einer todbringenden Krankheit infizieren. »Als er gestern Abend ging, erfreute er sich bester Gesundheit und war guter Dinge, das kann ich beschwören.«
»Er ist ja auch nicht an einer Lebensmittelvergiftung gestorben. Man hat ihn ermordet und in die Elbe gehängt.«
Der Oberkellner schnappte hörbar nach Luft. »Ermordet? Johannes Schaber? Aber warum denn bloß?«
»Wann hat er das Restaurant gestern verlassen? Nahm er von hier aus ein Taxi?«, fragte Mangold unbeirrt weiter.
»Das weiß ich nicht. Vielleicht hat ihm der Portier eines gerufen.« Der Mittvierziger wirkte mit einem Mal überhaupt nicht mehr dynamisch. Sein Gesicht hatte einen grünstichigen Grauton angenommen, die Lippen waren fahl und selbst das pomadige Haar hatte seinen Glanz verloren. Mangold kannte das. Die Begegnung mit dem Tod, besonders dann, wenn er gewaltsam herbeigeführt wurde, hatte auf manche Menschen solch eine erdbebenähnliche Wirkung. Sie wurden im wahrsten Sinne des Wortes erschüttert.
»Sie sind uns gleich wieder los«, versprach er, bevor er sich erkundigte: »Wer außer Ihnen ist jetzt schon wieder hier? Oder geht die Spätschicht komplett nach Hause?«
»Ich sehe mal nach«, verkündete der Oberkellner, deutete eine Verbeugung an und verschwand eilig durch eine leise keuchende Schiebetür.
Zerknirscht erschien er wenig später wieder. »Außer Francoise ist niemand eingeteilt.«
Die schüchterne junge Frau versuchte, sich hinter dem breiten Rücken des Oberkellners zu verbergen.
Mangold schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Keine Angst. Ihr Name?«
»Francoise Perrier, wie das Mineralwasser«, antwortete sie so leise, dass es kaum zu verstehen war.
»Gestern Abend haben Sie bedient. Auch Herrn Schaber?«, fragte Mangold behutsam weiter.
»Ja«, quetschte die junge Frau hervor. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Mangold hasste es. Weinende Frauen hatten für ihn etwas außerordentlich Verunsicherndes. »Ist Ihnen etwas an ihm aufgefallen? War er anders als gewöhnlich?«, hakte er rasch nach.
Francoise schluckte tapfer. Ihr brünetter, dünner Zopf hing kraftlos über die linke Schulter, die Arme baumelten leblos an den Seiten herunter.
Der Oberkellner sah sich veranlasst, ihr beizuspringen. »Wie soll sie das beurteilen?«, polterte er los. »Sie kannte ihn doch gar nicht!«
»Er – war – sehr – freundlich«, erklärte die Kellnerin
Weitere Kostenlose Bücher