Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
OP-Besteck und Asservierungsschalen fast wie der Schatz eines Piraten. Doch das Märchenhafte dieses Augenblicks fiel hier niemandem auf.
Nachdenklich wanderten die Augen des Rechtsmediziners über den Brustkorb des Opfers. Die Todesursache stand außer Zweifel: Ein Stich ins Herz wie bei Schaber und wahrscheinlich auch bei Keiser. Ungewöhnlich war, dass der Stoß offensichtlich kraftvoll direkt von vorn geführt worden war. Hatte der Täter einen Moment der Unaufmerksamkeit genutzt und überraschend zugestochen?
Der Gerichtsmediziner hatte noch ein anderes Erklärungsmodell.
»Guten Morgen!«, schmetterte er dem eben eingetretenen Ermittler fröhlich entgegen und reichte ihm Haube und Kittel. »Solange du nichts anfassen willst, kannst du heute auf die Handschuhe verzichten. Mundschutz? Sie ist nicht gerade frisch.«
»Guten Morgen.« Nachtigall verknotete schon ungeschickt die Bänder der Schürze.
»Ihre Jacke haben die Kollegen schon abgeholt. Seltsam, dass nichts weiter gefunden wurde. Es ist ja eher unwahrscheinlich, dass sie bis auf dieses eine Teil unbekleidet herumgelaufen ist, auch wenn die Temperaturen entsprechend waren.«
»Es wurde gestern noch einmal das gesamte Areal abgesucht. Kein T-Shirt, keine Tasche, keine Schuhe, keine Shorts, keine Unterwäsche.«
»Schaber war vollständig bekleidet, als man ihn fand, nicht wahr?«
»Ja. Ein Schuh fehlte, aber den vermuten die Kollegen in der Elbe.«
»Demnach entkleidet er sie nicht, um etwaige biologische Spuren zu verwischen. Hm. Er hat die Jacke nur benötigt, um den Zettel für euch zu deponieren.«
So hatte Nachtigall das noch gar nicht gesehen.
»Dazu war es aber nicht notwendig, ihr die Hose und den Slip auszuziehen.«
»Stimmt. Damit wollte er etwas anderes erreichen« Dr. Pankratz war ein Freund schlichter Statements. Der Hauptkommissar sah ein, dass er entweder warten oder nachfragen musste. Er entschied sich, zu warten.
Der Rechtsmediziner gab seinem Kollegen einen Wink und trat an den Tisch zurück.
»Alle Veränderungen, die du hier siehst, sind auf die Liegezeit bei fast tropischen Bedingungen zurückzuführen. Dieser Sommer ist rekordverdächtig warm. Tod durch Fremdeinwirkung. Ein tiefer Stich, wohl direkt ins Herz. Ich gehe davon aus, dass die Fesselungen nach Eintritt des Todes vorgenommen wurden, sie waren viel zu locker. Als echte Fesseln hätten sie nicht getaugt. Außerdem glaube ich nicht, dass sie sich nicht dagegen gewehrt hätte, zumindest als sie das Messer sah. Aber es sind keine Abschürfungen zu entdecken. Suizid scheidet damit definitiv aus, zumal ihr auch die Tatwaffe nicht gefunden habt.«
»Es gab mal einen Fall bei Conan Doyle, da fand sich auch keine Tatwaffe. Sehr geschickt gemacht von einem Selbstmörder, der einen anderen mit dem Mord belasten wollte«, mischte sich der zweite Obduzent ein, der auch heute anwesend war, und entblößte beim Lachen seine großen weißen Zähne.
Dr. Pankratz schmunzelte und meinte ironisch: »Wir behalten Ihren überaus weiterführenden Beitrag im Gedächtnis und werden gegebenenfalls darauf zurückkommen.« Er wandte sich wieder dem Ermittler zu. »Suizidanten, die sich einen tödlichen Stich ins Herz setzen wollen, ziehen üblicherweise ihre Oberbekleidung aus, um die Klinge nicht zu behindern. Aber ich kenne nicht einen Fall, bei dem sich eine Frau komplett entkleidet hätte, bevor sie sich erstach.«
»Roland Keisers Körper und der von Johannes Schaber waren auch arrangiert«, bestätigte Nachtigall. »Drei Morde – ein Täter.«
»Konntet ihr die Tote schon identifizieren?«, erkundigte sich der Rechtsmediziner.
»Nein, leider nicht. Keine Vermisstenmeldung passt. Michael ist dran – nur, wenn sie zum Beispiel genau jetzt ihren Jahresurlaub angetreten hat, kann es eine Weile dauern, bis ihr Verschwinden bemerkt wird.«
»Ja, es ist Urlaubszeit«, ließ sich der Kollege wieder vernehmen. »Drei Wochen Pauschalreise, im Voraus bezahlt. Scharme El-Scheich. Da fragt auch niemand nach, wenn sie nicht anreist.«
»Zwei Opfer in Cottbus, eines in Dresden. Ist mal was Neues, oder? Dein Täter mordet fremd.«
Nachtigall verzog angestrengt das Gesicht und hoffte, man könne das Ergebnis mit ein bisschen guten Willen als Schmunzeln interpretieren. »Dr. Teufel, dein Kollege in Dresden, hat in der Stichwunde bei Johannes Schaber Erdpartikel entdeckt.«
»Erdpartikel?« Eine Augenbraue sauste hoch und die makellose Glatze des Rechtsmediziners legte sich in dicke
Weitere Kostenlose Bücher