Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
Entgegnung kaum.
»Danke«, gab sie gleichgültig zurück. »Ist Ewigkeiten her.«
Der Hauptkommissar zögerte einen Atemzug lang, dann war seine Entscheidung gefallen. »Wie gesagt, wir ermitteln in einem Mordfall und …«
Wieder bekam er keine Chance, seine Anwesenheit näher zu erklären.
»Zu spät. Der Mörder meiner Tochter lebt nicht mehr«, eröffnete sie ihm gallig.
»Oh«, entfuhr es dem Hauptkommissar. Was sollte er dazu auch sagen?
»Heute wohnen wir allein. Alles eine Frage der Gewöhnung.« Frau Winter machte eine einladende Handbewegung und Nachtigall trat ein. »Mein Mann hat früher in Jänschwalde gearbeitet, seit ein paar Monaten ist er in Frührente. Man lernt, mit der Ruhe umzugehen. Jetzt hat er wenigstens Zeit, an seinem Buch zu arbeiten. Melodram. Über ein Männerschicksal.«
Schweigend folgte der Hauptkommissar der Frau den schmalen Flur entlang, vorbei an der modern eingerichteten Küche in ein geräumiges Wohn-Esszimmer. Freundliche Orangetöne herrschten hier vor, an der den Fenstern gegenüberliegenden Wand zog sich ein Regal entlang, das gar nicht mehr alle Bücher des Paares aufnehmen konnte. Die überzähligen waren zu kleinen Stapeln gruppiert. Vielleicht warteten sie darauf, gelesen zu werden. Leise Musik erklang im Hintergrund, der Raum duftete dezent nach Blumen.
»Ich habe noch drei Jahre und ein bisschen bis zur Rente. Aber wahrscheinlich halte ich nicht bis zum Ende durch. In der Altenpflege braucht man viel Kraft – und die nimmt im Alter eben immer mehr ab.«
»Weil man die Patienten heben muss«, knarrte eine Stimme aus einem dunkelgrünen hohen Ohrensessel, der mit Blick zum Fenster aufgestellt war. »Das kann man dann eigentlich nicht mehr.«
Dieser Mann war das einzige Element, das nicht so recht in den lebensfrohen Raum passen wollte. Grämliche Züge wiesen ihn als notorischen Nörgler aus. Er trug, trotz der sommerlichen Wärme, eine graue Wolljacke und lange gleichfarbige Hosen, ein weißes Hemd und ein Halstuch. Das schüttere Haar lag ordentlich über seine Glatze gekämmt. Manuelas Vater wirkte wie eine der Figuren des amerikanischen Künstlers Duane Hanson. Hyperrealismus. Lebensecht, aber dennoch tot. Unbewegt starrte er zum Fenster raus und Nachtigall beschlichen Zweifel, ob Herr Winter wirklich etwas gesagt hatte.
»Gustav Winter. Mein Mann. Er ist nicht sehr gesellig, lassen Sie sich aber dadurch nicht abschrecken«, lachte sie glockenhell. »Er arbeitet an seiner Karriere als grantelnder Schriftsteller.«
Nachtigall war mehr als irritiert. Wenn seine Jule nicht mehr, nein, daran mochte er gar nicht denken.
Seine Überlegungen kehrten zu Roland Keiser und dessen angespanntem Verhältnis zu seinen Eltern zurück. Hatte es zwischen Manuela und ihrer Mutter einen nicht überbrückbaren Zwist gegeben?
»Wie kann ich Ihnen nun helfen?« Mit einer einladenden Handbewegung deutete sie auf einen bequemen Sessel.
»Ist Ihnen der Name Roland Keiser geläufig?«
»Moment!« Frau Winter reckte abwehrend einen Arm in die Luft und schloss die Augen. »Ich hab’s gleich! Ah – ich weiß: Das war der junge Trainer, der auf einmal verschwunden war. Ist aber schon lang her. Ganz Cottbus hat damals mitgefiebert. Ich glaube, man hat ihn nie gefunden und er meldete sich auch nicht. Republikflucht.«
»Wir haben seine Leiche gefunden!«
Es klatschte laut, als sie ihre kräftigen Finger gegen die Stirn schlug. »Aber klar! Stand ja in der Zeitung.« Sie musterte ihr Gegenüber neugierig. »Und?«
»Hat Manuela von ihm gesprochen? Vielleicht waren die beiden befreundet?«
»Wenn, dann nur locker bekannt. Meine Tochter hatte damals einen festen Freund, Andy, jede Menge Pläne für eine gemeinsame Zukunft. Die beiden waren ein schönes Paar. Ich glaube, ihre Freundin Silvia kannte diesen Roland näher.«
Sie schwieg abrupt. »Kriminalpolizei – dann wurde er bestimmt ermordet, wie?«, fragte sie mit lüsternem Unterton.
Nachtigall nickte angewidert.
Diese Frau hatte selbst einen Todesfall in der Familie! Wie konnte sie nur? Ewigkeiten her, hatte sie gesagt. Die Tochter eine verblasste Erinnerung, der Schmerz überwunden?
»Das ist schlimm für seine Eltern. Wie ist er denn gestorben?«
Der Hauptkommissar verspürte nur wenig Lust, ihren Durst nach sensationellen Informationen zu befriedigen. Daher beschränkte er sich auf ein unfreundliches: »Erstochen.«
»Ach herrje. Das klingt nach einem handfesten Streit unter Zechkumpanen!«
Auf diesen Trick
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