Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
gemütlichen Start in den Tag. Kiri war aus reinem Entgegenkommen so früh aufgestanden, aber das behielt sie für sich. Doch als sie gesehen hatte, wie bestürzt ihre Mutter auf die Nachricht vom Tod Johannes Schabers in der Tagesschau reagierte, war sie der Meinung, ein bisschen Sonntag im Alltag tue Not. Ihre Mutter brauchte jemanden zum Reden.
»Weißt du, Kiri, es ist nicht leicht, Leute zu finden, die gute Teamchefs abgeben. Sie müssen den Spagat zwischen Nähe und Distanz beherrschen – das ist nicht leicht.« Plötzlich zog ein versonnenes Lächeln über Frau Schybullas Gesicht. »Alle waren hinter Roland her. Johannes sah nicht so unwiderstehlich piratig aus. Er hat das mit relativem Gleichmut ertragen.«
Kiri schmunzelte verschmitzt: »Aber dir hätte Johannes schon gefallen.«
»Ach, na ja. Ich war jung. Da ist man oft ein bisschen unkritisch. Der größte Unterschied zwischen Johannes und den anderen war wohl, dass er gut zuhören konnte. Meine Güte! Es kommt mir vor, als läge diese Zeit 100 Jahre zurück.«
»Weißt du, was aus ihm geworden ist?«
»Nein. Ich sattelte, wie du weißt, beruflich um, heiratete deinen Vater, du wurdest geboren. Nein, mich hat nur noch meine kleine Welt interessiert. Irgendjemand erzählte mir mal, er sei nach Brasilien gegangen«, missbilligend zog sie eine Augenbraue hoch. »Ich weiß nicht einmal mehr, wer das war.«
»Brasilien? Ein Traumziel von ihm?«
»Vielleicht. Früher schwärmte er eher von Kuba!«, sie lachte leise.
»Wünsche im Rahmen der politischen Möglichkeiten?«, feixte Kiri.
»Nun, was soll ich sagen? Sein Vater war aktives Mitglied der SED. Blieb also nicht viel Platz für Extrawünsche. Ich denke, die Wende kam für ihn gerade richtig. Einfach weg und alles hinter sich lassen.«
»Er muss sich in diesem neuen Leben einige Feinde gemacht haben. Schließlich wurde er ermordet.«
Frau Schybulla sah ihre Tochter nachdenklich an, dann sagte sie entschieden: »Nein, Kiri. Ich bin ziemlich sicher, der Mörder stammt aus seinem alten Leben!«
27
Peter Nachtigall überprüfte noch einmal die Anschrift.
Er hatte drei Namen übernommen, Michael kümmerte sich um die restlichen drei. Hajo würde später zu ihnen stoßen. Im Moment stellte er den Kontakt zu seinem Büro in Dresden her, um dort nach neuen Anhaltspunkten und Zeugen zu suchen. Unwillig zerknüllte Nachtigall den Notizzettel in seiner Hosentasche.
Manuela Winter, Albert-Schweitzer-Straße 7. Stimmte offensichtlich.
Er sah an den Wohnblocks hinauf. Sie hatten keine Ähnlichkeit mehr mit den grauen Plattenbauten, die er in Erinnerung hatte. Bunt und fröhlich wirkten diese Fassaden. Ganz offensichtlich hatte man sich Mühe gegeben, das Wohnumfeld angenehmer zu gestalten.
Mit dem Fahrstuhl erreichte er den achten Stock. Um in den neunten zu gelangen, musste er eine Etage zu Fuß erklimmen. Desillusioniert stellte er fest, dass sich im Treppenhaus nach der Renovierung der Wohnungen und der Außenfassade nur wenig verändert hatte. Gekritzel an den Wänden, ausgetretene Stufen, jede hatte eine andere Höhe, ein dünnes, wenig vertrauenerweckendes Geländer.
»Ja?«
Die Frau konnte kaum 60 sein und doch wirkte sie auf sonderbare Weise greisenhaft. Das graue Haar trug sie modisch kurz, das faltige, kleine Gesicht darunter wirkte zerfurcht, wie eine Kraterlandschaft, blass, gräulich und vertrocknet. Umso mehr überraschte ihn der muskulöse Körperbau und die festen Beine, die so gar nicht zu diesem Mumiengesicht passen wollten.
»Kriminalpolizei Cottbus, mein Name ist Peter Nachtigall. Ich hätte gern mit Ihrer Tochter Manuela gesprochen.«
Er sah tiefe Ratlosigkeit wie den Schatten einer Wolke durch die Faltentäler huschen.
»Manuela?«
»Ja, es wäre sehr wichtig. Wir ermitteln in einem Mordfall und …«
Sie fiel ihm harsch ins Wort: »Das ist unmöglich!«
Nachtigall blickte sie überrascht an.
»Manuela ist gestorben.«
Betroffenheit füllte ihn aus, blockierte sein Denken. Da störte er mit seinen Fragen eine Mutter, die wohl erst vor Kurzem ihre Tochter beerdigt hatte. Dieser Fall zerrte gewaltig an seinen Nerven.
»Mein Beileid«, würgte er mühsam hervor. Warum hatte Michael Wiener das nicht bemerkt, er kontrollierte doch sonst immer alles so penibel? Bestimmt war seine Konzentration auch dahin – immerhin war ja sogar seine Freundin in den Fall involviert. Er würde ihn später darauf ansprechen. Ganz in seine Überlegungen verstrickt hörte er Frau Winters
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