Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
wusste er, konnten epileptische Anfälle frühzeitig wahrnehmen und ihre Bezugsperson in Sicherheit bringen, sogar Über- und Unterzuckerung stellten sie fest – aber Katzen? Vielleicht verrieten sie nichts von ihren wunderbaren Fähigkeiten, damit niemand auf die Idee kam, von ihnen zu erwarten, sie zum Nutzen für andere auf Abruf einzusetzen. Sicher war das mit ihrer sprichwörtlichen Liebe zur Unabhängigkeit nicht vereinbar. Auf der anderen Seite hatte er vor einiger Zeit im Internet einen Artikel über einen Kater entdeckt, der den Tod von Patienten sicher vorhersagen konnte. Er lebte in einem Pflegeheim für Demenzkranke und saß am liebsten auf dem Fensterbrett – allein. Mitunter jedoch sprang er bei einem Menschen aufs Bett und kuschelte sich Trost spendend an ihn. In der Regel starb dieser Patient innerhalb von etwa vier Stunden. In 50 Fällen lag das Tier mit seiner Ahnung bereits richtig. Der Hauptkommissar öffnete ein Auge und betrachtete seinen Hausgenossen kritisch. Musste er sich jetzt Sorgen machen? Wusste Casanova mehr?
Nein, entschied Nachtigall nach einem unangenehmen Moment des Erschreckens, in diesem speziellen Fall hatte er einen ganz anderen Verdacht.
»Das letzte Mal, als du behauptet hast, du wolltest mir bei der Lösung meines Falls helfen, hast du dir nur eine Sonderportion erschlichen und danach selig auf dem Küchentisch geschlafen, während ich den Mörder ermittelt habe«, flüsterte er dem Kater zu. Entschlossen drehte sich der Hausherr auf den Rücken. Weg von der unergründlichen grünen Tiefe.
»Gib Ruhe oder ich hole die Polizei!«, murmelte Conny im Halbschlaf.
Nachtigall drückte seine Lippen sanft auf ihren Mund.
Ein rascher Blick zur Seite. Casanova war immer noch da.
Das Gespräch mit der Witwe Kowalskis ging dem Ermittler nicht aus dem Kopf, ihre Worte beschäftigten ihn. Jule, erinnerte er sich, hatte während der Pubertät für einen ihrer Sportlehrer geschwärmt. Leider war ihm selbst nie der muskulöse Körper von Herrn Singer aufgefallen, ebenso wenig wie seine unsagbar blauen Augen oder das niedliche Muttermal über der linken Braue, das aussah wie ein Stern und über das sich Jule mit ihrer Freundin stundenlang unterhalten konnte. Wenn nun sehr viele solcher Mädchen im Schwärmalter in einem Internat leben, führt das doch sicher zu Stress untereinander und mit den wenigen männlichen Zielobjekten, überlegte er. Aber das galt natürlich auch umgekehrt. Für die Männer gab es bestimmt nur eine kleine Gruppe interessanter Mädchen in der Fülle des Angebots. Lag hier das Motiv? Dann müsste doch wenigstens das weibliche Opfer auch dort gewesen sein. Warum vermisste niemand diese junge Frau? Übermorgen war ihr Gesicht in der Lausitzer Rundschau zu sehen, so lange würde es noch dauern, bis der Fotograf die Bildbearbeitung abgeschlossen hatte – vielleicht meldete sich ja eine Freundin, erkannten sie die Eltern. Wir sollten das Foto auch an eine Zeitung in Potsdam schicken, entschied er, darum wird Michael sich kümmern.
Seine Gedanken zogen weiter. Hajo. Er hatte geschworen, der Blutalkoholtest würde 0,0 Promille ergeben. Seiner Darstellung nach traf ihn überhaupt keine Schuld an dem schrecklichen Unfall. Das würde sich rasch klären, die Kollegen der Sondergruppe arbeiteten zügig und effizient.
Nachtigall spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. Es war eine extrem unangenehme Situation gewesen, aber er war sich sicher, dass er richtig gehandelt hatte, allerdings etwas zu spät. Hajo hatte gar nicht versucht, sein Alkoholproblem in Abrede zu stellen. Ein ernstes Gespräch unter Männern, unter alten Freunden und unter Tränen. Er wusste nun endlich auch, warum Hajo Leipzig verlassen hatte. Ein einmaliger Ausrutscher, wurde der alte Kollege nicht müde zu versichern.
Im Klinikum sollte er nur für eine Nacht bleiben – zur Beobachtung. Er war mit ein paar Prellungen davongekommen.
›Super Schutzengel!‹, hatte der forsche junge Arzt gesagt. Nun, beendete Nachtigall den Gedankengang, sie würden den Fall abschließen und danach stünde für Hajo ein Entzug auf dem Terminplan. Irmchen wollte ihn mit aller Kraft unterstützen. Er seufzte tief und drehte sich zur Seite.
Casanovas Augen – eine glühende Eruption.
»Du hast gewonnen! Zeit zum Duschen!«
Kiri hatte frische Brötchen geholt und Kaffee aufgesetzt.
Zu einem gemeinsamen Frühstück ergab sich für die beiden Frauen nur selten Gelegenheit, umso mehr genossen sie den
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