Spillover
Fledertieren bedeckt. Auch der Geruch war entsetzlich: fruchtig, säuerlich, abgestanden. Die Höhle war offensichtlich von einem Bach gegraben worden oder hatte zumindest sein Wasser weitergeleitet; die Höhlendecke war zum Teil herabgefallen, so dass der Boden von Felsbrocken und grobem Geröll bedeckt war – eine Mondlandschaft, auf der sich die Exkremente verteilten wie eine dicke Schicht Vanillesoße. An der Decke hingen die Fledertiere dicht bei dicht – große Exemplare, viele Tausend. Sie waren unruhig und zwitscherten wegen der eingedrungenen Menschen, wechselten ihre Positionen, manche ließen sich fallen, flogen und landeten wieder. Mit eingezogenen Köpfen und vorsichtigen Schritten gingen Astrid und Jaap weiter; sie wollten nicht ausrutschen und waren bereit, sich nötigenfalls mit einer Hand abzustützen. »Ich glaube, sie hat einen dieser Felsbrocken angefasst«, sagt Jaap zu mir, »und die Exkremente waren infiziert. Also hatte sie es auf der Hand.« Vielleicht fasste sie sich später ins Gesicht, vielleicht steckte sie sich ein Bonbon in den Mund oder etwas Ähnliches. Er nickt: » Ich glaube, so hat sie sich die Infektion eingefangen.«
Die Python Cave im Maramagambo Forest liegt nur ungefähr 50 Kilometer westlich von der Kitaka Cave und wird ebenfalls von Nil-Flughunden zum Schlafen aufgesucht. 50 Kilometer sind keine große Entfernung, und die Tiere aus Kitaka sind – wie die Markierungsstudie des CDC -Teams später bestätigen sollte – durchaus in der Lage, den Weg zur Python Cave zu finden.
Vor den Gefahren, die möglicherweise in einer afrikanischen Fledertierhöhle lauern, hatte niemand Joosten und Taal gewarnt. Sie wussten nichts vom Marburgvirus (von Ebola hatten sie allerdings schon einmal gehört). Insgesamt hielten sie sich nur ungefähr zehn Minuten in der Höhle auf. Dann sahen sie einen großen, lethargischen Python. Sie verließen die Höhle, setzten ihren Uganda-Urlaub fort, sahen die Berggorillas, machten einen Bootsausflug und flogen schließlich zurück nach Amsterdam. 13 Tage nach der Höhlenbesichtigung, zu Hause in Nordbrabant, wurde Astrid Joosten krank.
Anfangs sah es nur nach einer Grippe aus. Dann stieg das Fieber immer höher. Nach einigen Tagen kam Organversagen hinzu. Ihre Ärzte wussten, dass sie kurz zuvor in Afrika gewesen war, und hatten den Verdacht auf das Lassa- oder vielleicht auch das Marburgvirus. Marburg, fragte Jaap, was ist das denn? Astrids Bruder sah in Wikipedia nach und klärte ihn auf: Marburgvirus, das ist tödlich, das ist richtig schlimm. Die Ärzte verlegten sie in eine Klinik in Leiden, wo man sie besser versorgen und von anderen Patienten isolieren konnte. Dort bekam sie einen Ausschlag und eine Bindehautentzündung; außerdem hatte sie Blutungen. Man versetzte sie in ein künstliches Koma, um sie aggressiver mit virushemmenden Medikamenten behandeln zu können. Bevor sie das Bewusstsein verlor, ging Jaap in das isolierte Zimmer, küsste seine Frau und sagte zu ihr: »In ein paar Tagen sehen wir uns wieder.« Blutproben, die an ein Labor in Hamburg geschickt wurden, bestätigten die Diagnose: Marburg. Ihr Zustand verschlechterte sich. Als die Organe ihre Funktion einstellten, wurde das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, sie erlitt ein Gehirnödem, und wenig später wurde Astrid Joosten für hirntot erklärt. »Sie haben sie noch ein paar Stunden am Leben erhalten, bis die Angehörigen da waren«, erzählt Jaap. »Dann haben sie den Stecker herausgezogen, und ein paar Minuten später ist sie gestorben.«
Die Ärzte waren entsetzt, dass er ihr so sorglos einen Abschiedskuss gegeben hatte, und hatten auch für Jaap ein Isolierzimmer vorbereitet. Es wurde aber nicht gebraucht. »Es gibt so vieles, was man über Marburg und diese anderen Virusinfektionen nicht weiß«, sagt er zu mir. Dann bricht er, immer noch der abenteuerlustige Reisende, auf zu einem Winterausflug in den Yellowstone-Nationalpark.
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Selbstdiagnose
Die Nachricht von Astrid Joostens Tod zog weite Kreise. Sie war der erste Mensch, der Afrika bekanntermaßen mit einer aktiven Filovirusinfektion verlassen hatte und daran gestorben war. Die Schweizer Doktorandin, die 1994 aus C Ô te d’Ivoire zurückgekehrt war, hatte überlebt. Hatte außer diesen beiden Frauen noch irgendjemand jemals einen internationalen Flughafen betreten und den Kontinent verlassen, während sich Ebola- oder Marburgviren in seinem Organismus vermehrten? Die Experten wussten von niemandem. Der
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