Spillover
starb. Sie bot aber die Gelegenheit, neue Erkenntnisse über das Virus zu gewinnen, was zum Teil der schnellen Reaktion eines internationalen Krisenteams zu verdanken war. Alle vier Opfer arbeiteten an einem Ort namens Kitaka Cave nicht weit vom Queen Elizabeth National Park in der Südwestecke Ugandas. Dort wird Galenit (ein Bleierz) und auch ein wenig Gold abgebaut. Das Wort »Mine« erregte in der Abteilung für besondere Krankheitserreger bei den CDC in Atlanta die Aufmerksamkeit einiger Wissenschaftler: Sie hatten zuvor bereits Anlass zu der Vermutung gehabt, dass der Reservoirwirt des Marburgvirus, wie er auch aussehen mochte, irgendetwas mit höhlenartigen Umgebungen zu tun hat. Bei mehreren früheren Marburg-Epidemien hatten die Patienten zuvor Höhlen oder Bergwerke besucht oder darin gearbeitet. Als das Krisenteam im August 2007 in Kitaka Cave eintraf, waren die Wissenschaftler darauf eingestellt, sich unter die Erde zu begeben.
Zu der Gruppe gehörten Wissenschaftler der CDC , des National Institute for Communicable Diseases in Südafrika und der WHO in Genf. Die CDC schickten Pierre Rollin und Jonathan Towner, die wir bereits kennengelernt haben, sowie Brian Amman und Serena Carroll. Aus Johannesburg kamen Bob Swanepoel und Alan Kemp vom NICD , Pierre Formenty stieß von der WHO dazu. Sie alle hatten reichlich Erfahrung mit Ebola und Marburg, die sie bei verschiedenen Epidemien, durch Laborarbeit und bei Feldstudien gesammelt hatten. Amman war Säugetierforscher und hatte eine besondere Vorliebe für Fledertiere. Als ich mich an den CDC mit ihm unterhalte, schildert er mir den Besuch in Kitaka Cave.
Die Höhle beherbergte ungefähr 100000 Exemplare des Nil-Flughundes ( Rousettus aegyptiacus ), einen Hauptverdächtigen als Reservoirwirt für das Marburgvirus. Nachdem die Mitglieder des Teams Schutzanzüge, Gummistiefel, Schutzbrillen, Atemgeräte, Handschuhe und Helme angelegt hatten, wurden sie von den Bergarbeitern, die wie gewöhnlich nur Shorts, T-Shirts und Sandalen trugen, in den Stollen geführt. Der Boden war von Guano bedeckt. Unterwegs klatschten die Bergarbeiter in die Hände, um niedrig hängende Flughunde zu vertreiben. Die Tiere strömten in Panik nach draußen. Sie hatten eine beträchtliche Größe: Mit ihrer Flügelspannweite von ungefähr 60 Zentimetern waren sie nicht ganz so groß wie die asiatischen Flughunde, aber immer noch beeindruckend, insbesondere wenn sie einem zu Tausenden in einem engen Tunnel entgegenkamen. Bevor Amman sich versah, hatte ein Flughund ihn im Gesicht getroffen und ihm eine Platzwunde über der Augenbraue zugefügt. Flughunde haben lange, scharfe Daumennägel. Später erhielt Amman wegen der Verletzung eine Spritze mit Tollwut-Antiserum, die größere unmittelbare Sorge galt aber dem Marburgvirus. »Ja«, dachte er, »dies ist ein sehr geeigneter Ort für die Übertragung.«
Wie Amman mir erklärt, besteht die Höhle aus mehreren Stollen. Der Hauptstollen ist ungefähr zweieinhalb Meter hoch. Wegen der Bergbauarbeiten haben sich viele Fledertiere einen anderen Schlafplatz gesucht »und sind in den Kobrastollen umgezogen, wie wir ihn nennen«. Es war ein kleinerer Seitenstollen, und dort …
Ich unterbreche ihn: »… dort gibt es Kobras ?«
»Ja, da drin war eine große Schwarzweiße Kobra«, erwidert er.
Vielleicht auch mehrere. Es war ein guter Lebensraum für Schlangen, dunkel mit Wasser und vielen Flughunden als Nahrung. Jedenfalls zeigten die Bergarbeiter Amman und Towner das Gangsystem. An einem Teich mit braunem, lauwarmem Wasser ließen die Einheimischen Towner und Amman zur weiteren Erkundung allein zurück. Die beiden stellten fest, dass von der Kammer wiederum drei Stollen abzweigten, die aber anscheinend alle durch stehendes Wasser blockiert waren. Als sie in einen davon hineinspähten, sahen sie viele weitere Flughunde. Es herrschte eine hohe Luftfeuchtigkeit, und es war vielleicht zehn oder 15 Grad wärmer als draußen. Die Schutzbrillen beschlugen. Die Atemgeräte verstopften und gaben nicht mehr viel Sauerstoff frei. Eingezwängt in ihre Schutzanzüge, schnappten sie nach Luft und schwitzten; die Anzüge fühlten sich an, als hätte man einen Müllsack am Leib. Wie tief das Wasser war, wussten sie nicht, und das Luftvolumen darüber war begrenzt. Sollten sie sich weiter vorwagen? Sie entschieden sich dagegen – das höhere Risiko stand in keinem Verhältnis zum möglichen Nutzen. Das war nur der erste Ausflug in die Unterwelt von Kitaka.
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