Spillover
nicht wissentlich die Exkremente berührt.« Sie wanderten zu ihrem Fahrzeug zurück, wo der Reiseleiter ein Picknick vorbereitet hatte. Vor dem Essen wusch sich Barnes die Hände mit einem Desinfektionsmittel, das sie für solche Fälle dabei hatte. Am späten Nachmittag waren sie zurück im Queen Elizabeth National Park, gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang und zur Beobachtung der üblichen reizvollen Vertreter der afrikanischen Tierwelt. Es war der Weihnachtsabend 2007.
Zu Neujahr waren sie wieder zu Hause. Michelle fuhr wenig später allein los, um noch ihre Eltern in Iowa zu besuchen. Am 4. Januar – sie war bereits in Sioux City – hatte sie morgens beim Aufwachen das Gefühl, als hätte ihr jemand eine Nadel in den Schädel gestochen.
Ihr ganzer Körper schmerzte, sie hatte Fieber, und dann war da dieser heftige, bohrende Kopfschmerz. Da sie den Verdacht hatte, sie sei von einem Insekt gestochen worden, bat sie ihre Eltern, ihre Kopfhaut zu untersuchen. »Da war natürlich nichts. Und dann habe ich im Laufe des Tages einen Ausschlag auf dem Bauch bekommen.« Der Ausschlag breitete sich aus. Neben Schmerzen, Erschöpfung und Ausschlag litt sie jetzt auch zunehmend an Verwirrtheitszuständen. »In den nächsten 48 Stunden ging es rapide bergab mit mir.« Sie nahm nach der Reise immer noch die Medikamente zur Malariaprophylaxe, und jetzt versuchte sie es zusätzlich mit Ciprofloxacin und Ibuprofen. Keine Besserung. Dennoch stand sie den Verwandtenbesuch durch, flog nach Colorado zurück und hielt dann in der Nähe ihrer Heimatstadt Golden bei einer Notfallstation – eine Einrichtung, wo eine Erkrankung mit Marburgviren nicht gerade häufig behandelt wird. Der Arzt nahm ihr Blut ab, gab ihr Schmerzmittel und schickte sie nach Hause. Die Blutprobe ging verloren.
Nach diesem wenig aufschlussreichen Arztbesuch und zwei weiteren bei ihrem Hausarzt während der nächsten beiden Tage begab sich Michelle Barnes in ein Krankenhaus in einem Wohnviertel von Denver. Sie war dehydriert, die weißen Blutkörperchen kaum noch nachweisbar, Nieren und Leber standen kurz vor dem Versagen. Nach der Einweisung bekam sie es mit einer ganzen Prozession von Ärzten und einer Litanei von Fragen zu tun. Eine der ersten lautete: Was haben Sie eigentlich in den letzten vier Tagen gemacht? Die meisten Menschen suchen Hilfe, bevor ein multiples Organversagen einsetzt. »Ich habe die Zähne zusammengebissen«, antwortete Barnes. Ihre Schwestern, die weit entfernt wohnten – eine war Ärztin in Alaska –, versammelten sich in dem Krankenhaus. Das war für Michelle zwar erfreulich, aber auch beunruhigend. Offensichtlich hatte man ihnen zu verstehen gegeben, dass es mit ihr zu Ende gehen könnte. Ihre Schwester Melissa, die Ärztin, hatte entscheidenden Anteil daran, Informationen aus Michelles Ärzten herauszuholen und sie zum Handeln zu drängen. Als es so weit war, stieß Dr. Norman K. Fujita zu dem Team, ein Spezialist für Infektionskrankheiten. Er sorgte dafür, dass Michelle auf Leptospirose, Malaria, Schistosomiasis und andere Infektionen untersucht wurde, die man sich in Afrika zuziehen kann, außerdem auch auf Ebola und Marburg. Die Ergebnisse – auch für Marburg – waren allesamt negativ.
Niemand wusste, was ihr fehlte. Aber alle konnten sehen, dass es ihr immer schlechter ging. Die Klinikärzte bemühten sich, ihren Zustand mit Flüssigkeitszufuhr, Antibiotika und Sauerstoff zu stabilisieren und ihr Leiden mit Schmerzmitteln zu lindern. Alle hofften, ihr Organismus werde den Kampf gegen den unbekannten Gegner gewinnen und wieder genesen. Die Krise stellte sich nach Michelles verschwommenen Erinnerungen in der Nacht des 10. oder 11. Januar ein, als wieder einmal eine ihrer Schwestern die ganze Nacht bei ihr saß und die ernsthafte Besorgnis erkennen ließ, dass Michelle sterben könnte. Das Seltsame in dieser Nacht war, so Barnes’ Erinnerung, dass man sie in eine Kinderstation verlegt hatte. Auf der Intensivstation war kein Platz mehr. »Aus irgendeinem Grund haben sie mich also in die Kinderstation gebracht. Das wusste ich, weil jemand kam und mir einen Teddybären brachte.« Anders als Astrid Joosten in Leiden und Kelly Warfield am USAMRIID wurde Michelle Barnes nie in eine Isolierstation eingewiesen. Ihr Pflegepersonal trug manchmal vorsichtshalber Gesichtsmasken, oft aber auch nicht. Allmählich gewann ihr Körper wieder an Kraft, und die Organe (mit Ausnahme der Gallenblase, die chirurgisch entfernt werden musste)
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