Spillover
Myrtenheidenwäldern des Litchfield National Park und seiner Umgebung. Als ich sie im Jahr 2006 hier treffe, ist der Wirbelsturm »Larry« gerade über den Norden Australiens hinweggezogen, hat das Land unter Wasser gesetzt und Flüsse und Bäche ansteigen lassen. Wir können ein wenig Zeit totschlagen, bevor sie wieder ins Freie geht und versucht, inmitten der Monsunüberschwemmung Fledertiere zu fangen.
Was an Hendra besonders interessant ist, sagt Plowright, es ist eines von vier neuen Viren, die ungefähr zur gleichen Zeit von einer einzigen Tiergruppe, nämlich den Flughunden, ausgegangen sind. Kurz nachdem das Hendra-Virus 1994 nördlich von Brisbane seinen ersten Auftritt gehabt hatte, tauchte 1996 an zwei anderen Stellen an der Küste von Queensland das Australische Fledermaus-Lyssavirus auf. 1997 folgte in der Nähe von Sydney das Menangle-Virus und dann, im September 1998, in Malaysia das Nipah-Virus. »Dass vier Viren in einem kurzen Zeitraum aus einer einzigen Gattung von Wirtstieren entspringen, ist beispiellos«, sagt sie. »Nach unserem Eindruck hat sich in der Ökologie der Pteropus -Arten eine Veränderung abgespielt, die diese Übersprünge ausgelöst hat.« Für das Nipah-Virus hat Hume Field auf den Schweinefarmen in Malaysia dazu beigetragen, solche Faktoren zu identifizieren. Jetzt, acht Jahre später, sucht Plowright – Field gehört zu ihren Prüfern für die Promotion – nach ähnlichen Faktoren für Hendra. Sie weiß, dass sich Veränderungen der Lebensräume auf die Populationsgröße, die Verteilungsmuster und das Wanderungsverhalten der Reservoirwirte von Hendra ausgewirkt haben. Das gilt nicht nur für den Kleinen Roten Flughund, sondern auch für seine Gattungsgenossen, den Schwarzen Flughund, den Graukopf-Flughund und den Brillenflughund. Plowright will nun der Frage nachgehen, wie sich diese Veränderungen ihrerseits auf die Verteilung, die Häufigkeit und die Übersprungwahrscheinlichkeit des Virus ausgewirkt haben.
Wie viele moderne ökologische Forschungsvorhaben, so bestand auch Plowrights Projekt aus einer Kombination von Datensammlung im Freiland und der computergestützten Konstruktion mathematischer Modelle. Der grundlegende begriffliche Rahmen, so erklärt sie mir, »wurde in den 1920er Jahren von Kermack und McKendrick entwickelt«. Damit meint sie das zuvor bereits beschriebene SIR -Modell ( susceptible-infected-recovered ). Dann spricht sie über anfällige, infizierte und genesene Individuen in einer Fledermauspopulation. Ist die Population isoliert und nicht groß genug, verbreitet sich das Virus in ihr, infiziert die anfälligen Individuen und lässt sie genesen (und immun gegenüber einer Neuinfektion) zurück, bis praktisch keine anfälligen Tiere mehr übrig sind. Dann stirbt der Erreger aus wie das Masernvirus in einem einsamen Dorf. Irgendwann kehrt das Virus dann mit einem vagabundierenden, infizierten Flughund in die Population zurück. Dies ist das gleiche Muster, das wir bei der blinkenden Weihnachtslichterkette beobachten, die ich schon im Zusammenhang mit dem Marburgvirus zum Vergleich herangezogen habe. Die Ökologen sprechen von einer Metapopulation – damit meinen sie eine Population von Populationen. Das Virus entgeht dem Aussterben, weil es eine relativ isolierte Flughundpopulation nach der anderen infiziert. Es stirbt an einer Stelle aus, gelangt an eine andere und infiziert dort die Tiere; in einer einzelnen Population mag es nicht dauerhaft vorhanden sein, aber irgendwo ist es immer. Die Lichter gehen an und aus, wenn sie an der Reihe sind – nie leuchten alle, und nie sind alle dunkel. Sind die Flughundpopulationen durch so große Entfernungen getrennt, dass die Distanz nur selten überwunden wird, geht die Wiederinfektion langsam vonstatten. Die Lichter blinken träge.
Stellen wir uns jetzt einmal eine solche Flughundpopulation innerhalb der Metapopulation vor. Sie hat den SIR -Ablauf hinter sich: Jedes Individuum war infiziert, jedes ist genesen, und das Virus ist weg. Aber es ist nicht für immer weg. Wenn der Anteil der anfälligen Tiere im Lauf der Jahre durch die Geburt neuer Individuen und den Tod der Alten ansteigt, ist die Population insgesamt für das Virus wieder empfänglich. Bei stärkerer Isolation dauert es länger, bevor das Virus wiederkehrt; in einem solchen größeren Zeitraum werden mehr anfällige Tiere neugeboren, und eine größere Zahl anfälliger Tiere bietet bessere Voraussetzungen für eine explosionsartige
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