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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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hatte. Er warf das Manuskript in den Papierkorb, dachte noch einmal darüber nach, was zu tun war, und arbeitete dann sowohl mit Gombe als auch mit Minnesota noch enger zusammen, um die Daten zu vervollständigen. Man würde ja sehen, wohin das führte.
    Ungefähr zur gleichen Zeit, im Frühjahr 2008, erfuhr Keele auch von ungewöhnlichen pathologischen Befunden am Gewebe eines der toten Schimpansen aus Gombe. Es handelte sich um Yolanda, ein Weibchen von 24 Jahren. Sie litt seit November 2007 an einer unbekannten Krankheit und war aus den Bergen heruntergekommen, um dann in der Nähe des Forschungszentrums immer schwächer zu werden. Die Menschen bemühten sich, sie zu füttern, aber Yolanda fraß nichts. Schwach und elend saß sie im Regen inmitten der dichten Vegetation, dann starb sie. Ihr Körper wurde in die Tiefkühltruhe gelegt. Zwei Monate später taute man ihn wieder auf.
    Die Nekropsie wurde von Jane Raphael vorgenommen, einer Tierärztin aus Tansania, die am Gombe Stream Research Center arbeitete und eine besondere Ausbildung für solche Tätigkeiten besaß. Da sie nicht wusste, ob Yolanda SIV -positiv gewesen war, ergriff Raphael die vorgeschriebenen Vorsichtsmaßnahmen. Sie trug einen vollständigen Schutzanzug, doppelte Handschuhe, eine N95-Atemmaske, ein Gesichtsvisier und Gummistiefel. Nachdem sie Yolandas Bauch aufgeschnitten hatte, durchtrennte sie die Rippen, zog sie auseinander und suchte nach sichtbaren Anomalien.
    »Das Hauptproblem befand sich in der Bauchhöhle«, erzählt Raphael mir zwei Jahre später, als wir in ihrem kleinen Büro unmittelbar über dem Ufer des Tanganjikasees sitzen. »Sie hatte so etwas wie eine Bauchfellentzündung. Die Därme klebten stark aneinander.« Die zurückhaltende Frau, die eine Flechtfrisur und ein Kleid mit Blumenmuster trägt, wählt ihre Worte sorgfältig. Sie schildert, wie sie die verklebten Därme mit ihren behandschuhten Händen trennte. »Es war ungewöhnlich«, sagt sie. »Die Muskulatur unterhalb des Beckens war stark entzündet. Und dann waren darauf ein paar schwarze Punkte.« Was die Ursache der Entzündung gewesen sei? Sehr darauf bedacht, ihre Daten nicht zu sehr zu strapazieren, sagt Raphael, sie wisse es nicht.
    Nachdem sie sich alles genau angesehen hatte, nahm sie von praktisch allen Organen kleine Gewebeproben: Milz, Leber, Darm, Herz, Lunge, Nieren, Gehirn, Lymphknoten. Wie sie mir erklärt, sind insbesondere die Lymphknoten bei den SIV -positiven Fällen sehr wichtig. Yolandas Lymphknoten sahen auf den ersten Blick normal aus, später würde die histopathologische Untersuchung diesen Eindruck aber als Illusion entlarven. Einige Proben wurden mit RNA later konserviert und an Beatrice Hahn geschickt. Andere gingen, eingelegt in Formalin, an eine Pathologin in Chicago. Als die Ergebnisse vorlagen, stellten sie alle bis dahin herrschenden Vorstellungen von SIV bei Schimpansen infrage. »Früher hat man gesagt, sie seien zwar infiziert, würden aber nicht erkranken«, erzählt Raphael. »Yolanda hat für ein Umdenken gesorgt.«
    Auf der Spur der konservierten Proben reise ich nach Chicago. Dort will Karen Terio, die Pathologin, die sie untersucht hat, mir einen Eindruck von den Befunden vermitteln. Terio hat an einer der besten Hochschulen des Landes Tiermedizin studiert, dann eine Assistentenzeit absolviert und in Pathologie promoviert; ihr Spezialgebiet sind Krankheiten, die zwischen Tieren verschiedener Arten übertragen werden. Sie hat für die University of Illinois gearbeitet und war beratend für den Lincoln Park Zoo tätig, der in Gombe an einem Projekt zur Gesundheitsüberwachung mitwirkt. Die Lymphknoten und andere Gewebeproben von Yolanda wurden also einer fachkundigen Überprüfung unterzogen. Terio stellte von den Geweben Schnitte her, ließ sie präparieren und färben, und sah sich dann die Objektträger unter dem Mikroskop an. »Es war erstaunlich: Ich konnte keinerlei Lymphocyten finden«, erzählt sie. »Als ich den ersten Lymphknoten sah, habe ich gedacht: Hm, das ist seltsam.« Sie bat ihren Chef, einen Blick durch das Mikroskop zu werfen. Auch er bestätigte, da sei etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Nun rief sie Elizabeth Lonsdorf an, eine Kollegin, die beim Lincoln Zoo die Arbeit mit afrikanischen Menschenaffen einschließlich des Gesundheitsprojekts in Gombe betreut.
    »Wir haben ein Problem«, sagte Terio zu Lonsdorf. »Sie hat keine Lymphocyten.«
    »Heißt das das, was ich glaube?«
    »Ja. Die Symptome bei diesem

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