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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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Tier sehen aus wie bei einem AIDS -Patienten im Endstadium.«
    Gemeinsam riefen Terio und Lonsdorf bei Beatrice Hahn an. Die fragte als Erstes: »Seid ihr sicher?« Terio war sich völlig sicher, aber sie mailte sofort die Mikroskopaufnahmen, damit sich die anderen selbst ein Urteil bilden konnten. Brandon Keele war jetzt ebenfalls auf dem Laufenden. Terio schickte die Bilder auch an einen anderen Kollegen, einen Experten für die Pathologie des Immunsystems, der die Diagnose verfeinern sollte. Alle waren sich einig, und nachdem die Codierung der Probe aufgehoben war, wussten auch alle, dass die Einzelteile zusammenpassten: Die Schimpansin Yolanda, die mit 24 Jahren gestorben war, war SIV -positiv gewesen und hatte an einer Immunschwäche gelitten.
    Karen Terio bietet mir einen Platz vor ihrem Zwei-Beobachter-Mikroskop an. Dann holt sie dieselben Präparate, die sie schon mit Hahn und Lonsdorf betrachtet hat. Von ihrem Platz am Mikroskop kann sie einen kleinen roten Pfeil über das Gesichtsfeld bewegen und mir zeigen, was wir da eigentlich sehen. Zuerst führt sie mir einen Dünnschnitt aus dem Lymphknoten eines gesunden, SIV -negativen Schimpansen vor. Damit habe ich meinen Vergleich. Es sieht aus wie ein Torfmoor, das man mit Google Earth betrachtet: wellig, voller Torfmoos und Heidelbeeren, dicht, üppig und nur hin und wieder von schmalen Hohlräumen unterbrochen, die an Tümpel und Bäche erinnern. Das Gewebe ist violett gefärbt und stark von dunkelblauen Punkten durchsetzt. Diese Punkte, so erklärt mir Terio, sind Lymphocyten in gesunder Zahl. In Bereichen, wo sie besonders dicht stehen, bilden sie einen Follikel wie eine Tüte mit Geleebonbons. Sie bewegt den roten Pfeil zu einem Follikel.
    Dann legt sie ein anderes Präparat auf den Objekttisch. Dies ist ein Dünnschnitt aus dem Lymphknoten von Yolanda. Er sieht nicht aus wie ein Torfmoor, sondern wie eine Strauchwüste, die von einer großen Überschwemmung heimgesucht wurde und dann ausgetrocknet ist.
    »Mmmmm«, sage ich.
    »Das ist eigentlich nur Bindegewebe«, erklärt Terio. Damit meint sie, dass hier nur Stützstrukturen vorhanden sind, nicht aber ihr funktionsfähiges Innenleben. Öde und leer. »Bei diesem Tier sind nur noch sehr, sehr wenige Lymphocyten übrig.«
    »Aha.«
    »Und es ist kollabiert. Hier können Sie sehen, wie das ganze Ding gewissermaßen in sich selbst zusammengebrochen ist, weil nichts mehr da war, das es aufrechterhalten konnte.« Der kleine rote Pfeil wandert verloren durch die Wüste. Kein Torfmoos, keine Follikel, keine kleinen blauen Flecken. Ich male mir aus, wie Karen Terio damals, im April 2008, einsam und allein diese Präparate untersuchte, und wie sie früher als jeder andere – zu einer Zeit, als die Wissenschaftler auf der ganzen Welt der Illusion des nichtpathogenen SI V cpz nachhingen – zu einem solchen Befund gelangte.
    »Sie haben also hier gesessen und sich das angesehen …?«
    »Und dann habe ich ›O nein‹ gesagt«, fügt sie hinzu.
    Terios Befunde, die Daten aus dem Freiland von Gombe und die molekularbiologischen Analysen aus Hahns Institut flossen in einen Artikel ein, der im Sommer 2009 in Nature erschien. Der erste Autor war Brandon Keele, der letzte Beatrice Hahn. Der einprägsame Titel lautete: »Erhöhte Sterblichkeit und AIDS -ähnliche Immunpathologie bei SI V cpz -infizierten wilden Schimpansen«. Auf der langen Liste der Koautoren standen Karen Terio und ihr Chef, Elizabeth Lonsdorf, Jane Raphael, zwei von Hahns hochrangigen Kollegen, der Experte für die Pathologie von Primatenzellen, der leitende Wissenschaftler aus Gombe und Jane Goodall selbst.
    »Nun ja, irgendwie musste ich. Aber vorher hatte ich die langen Gespräche mit Beatrice geführt«, erzählt sie mir später. »Sie hätte es so oder so veröffentlicht.« Angesichts des Unvermeidlichen und im Namen der Wissenschaft setzte Jane Goodall ihren Namen darunter.
    Der Artikel gelangte zu einer herausragenden Schlussfolgerung: Anders als Keele es im ersten Entwurf für sein Manuskript dargestellt hatte, besteht für die SIV -positiven Schimpansen in Gombe tatsächlich Lebensgefahr. Von den 18 Individuen, die während der Studie starben, waren sieben SIV -positiv. Wenn man bedenkt, dass der Anteil der SIV -positiven Schimpansen in der Population bei unter 20 Prozent lag, und wenn man dann noch die normale Sterblichkeit der einzelnen Altersgruppen berücksichtigt, zeigt sich daran ein Todesrisiko, das für SIV -positive Schimpansen 10-

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