Spillover
es sich um einen neuen Stamm: Er unterschied sich stark von den anderen bekannten Stämmen und kam demnach möglicherweise nur in Ostafrika vor. Das war aus mehreren Gründen eine bedeutsame Erkenntnis. Ja, die Schimpansen von Gombe waren infiziert. Nein, sie konnten nicht der Ausgangspunkt für die Pandemie unter Menschen sein. Die SIV -Varianten, die Martine Peeters in Westafrika gefunden hatte (und das noch vor Hahns Befunden aus Kamerun), ähnelten der HIV -1-Gruppe M stärker als das Virus aus Gombe.
Mitte Dezember ging eine weitere E-Mail von Hahns Computer auf die Reise zu Richard Wrangham, Jane Goodall, Martin Muller und anderen. Unter dem Betreff »Endlich gute Nachrichten« schilderte Hahn die Befunde von Gimble und die Stellung seines Virusstammes im Stammbaum von SIV . Dann schrieb sie mit ihrer charakteristischen Neigung zum Großbuchstaben-Überschwang: » DAS IST EIN VOLLTREFFER! «
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AIDS in Gombe
Aber es war erst der Anfang. Die Studie wurde noch neun Jahre fortgesetzt. Helfer sammelten in Gombe Exkrementproben von 49 Schimpansen, von denen jeder einzelne mit Namen und in den meisten Fällen auch mit seinem individuellen Charakter und seiner Familiengeschichte bekannt war. Die Mitarbeiter von Beatrice Hahn nahmen die Analysen vor und stellten fest, dass 17 der 49 Schimpansen SIV -positiv waren. Nach und nach starben einige der Tiere. Andere verschwanden im Wald, und als sie nicht wieder auftauchten, konnte man annehmen, dass sie ebenfalls tot waren. Der Tod ist für wild lebende Tiere und auch für Schimpansen häufig eine Privatangelegenheit, insbesondere wenn er langsam und mit großen Schmerzen über sie kommt. Oft sondern sie sich dann von ihrer Gruppe ab und sind am Ende allein. Gimble hatte sich den Spurenlesern zum letzten Mal am 23. Januar 2007 gezeigt. Seine Leiche wurde nie gefunden.
In Birmingham fand eine andere Fluktuation statt: In Hahns Institut kamen und gingen die Doktoranden und Postdocs. Mario Santiago verließ das Labor und nahm das nächste Stadium seiner Karriere in Angriff, dafür kam Brandon Keele. Aus Gombe trafen weiterhin in unregelmäßigen Abständen Lieferungen mit Probenmaterial ein, das dann analysiert wurde – ein langsamer, mühsamer Prozess. Die Arbeit fiel zum größten Teil Keele zu, aber für ihn war es ein »Nacharbeiten«. Als ich Keele während meines Besuches in Fort Detrick aufsuche, schildert er mir den Augenblick der Erkenntnis, die ihm fast am Ende seiner Postdoc-Zeit kam und das Projekt wieder hochaktuell machte.
»Ich wollte fertig werden und dann gehen, aber dann fragte ich mich: Wie geht es eigentlich mit diesen Schimpansen weiter?« Ihm war klar, dass die Zahl der bekanntermaßen SIV -positiven Schimpansen in Gombe mit der Untersuchung von immer mehr Proben zugenommen hatte und dass es auch Hinweise sowohl auf eine vertikale Übertragung von der Mutter zum Kind als auch auf Neuinfektionen durch sexuelle Übertragung gab. Er war überzeugt, die Studie könnte einen interessanten, undramatischen Artikel über die Frage liefern, wie sich ein harmloses Virus in einer Population ausbreitet. »Also haben wir angefangen, die Daten zusammenzutragen«, erzählt er. Das bedeutete, dass man Verhaltensbeobachtungen im Freiland vornehmen musste. Er nahm Kontakt zu den Mitarbeitern im Forschungszentrum des Jane Goodall Institute in Minnesota auf. Als er einen nach dem anderen befragte, erfuhr er eine Reihe beunruhigender Neuigkeiten.
»Ach nein, dieser Schimpanse ist tot.«
»Nein, dieser Schimpanse ist tot. Er ist 2006 gestorben.«
»Nein, dieser Schimpanse ist tot.«
Immer wieder fragte sich Keele: »Was um Himmels willen ist da los?« Eine Teilantwort erhielt er, als er eine aktualisierte Liste der verstorbenen Schimpansen erhielt: Sie zeigte, dass es unter den SIV -positiven Mitgliedern der Population von Gombe eine Welle vorzeitiger Todesfälle gegeben hatte.
Zusammen mit dem Team in Hahns Labor hatte er kurz zuvor das Manuskript für einen Vortrag verfasst, den er auf einer Tagung halten und später auch in einer Fachzeitschrift veröffentlichen wollte. Der Entwurf enthielt nach Keeles Erinnerung einen Satz, in dem es sinngemäß hieß: »Es sieht nicht so aus, als wäre die Infektion bei diesen Schimpansen mit einer echten Lebensgefahr verbunden.« Sie hatten den Entwurf an ihre Partner in Gombe geschickt, und die reagierten sehr schnell mit der Nachricht von sieben weiteren toten Schimpansen, von denen noch nicht einmal Keele etwas gewusst
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