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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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sollte anders verlaufen – und es sollte kürzer sein.
    Kurz nachdem Beatrice Hahn die Befunde von Gimble in der Hand hatte, schrieb sie eine lange E-Mail an Jane Goodall. Darin erklärte sie den Zusammenhang und die Folgerungen. Goodall selbst war von ihrer Ausbildung her keine Molekularbiologin, sondern Verhaltensforscherin, und Westernblot-Antikörperanalysen waren ihr so fremd wie für Hahn das Probensammeln. Mit ihrer Schimpansenforschung hatte Goodall bereits im Juli 1960 im damaligen Gombe Stream Game Reserve begonnen; das Schutzgebiet, das später zum Gombe-Nationalpark wurde, liegt am Ostufer des Tanganjikasees. Sie gründete 1965 das Gombe Stream Research Center, das in einem kleinen Betongebäude nicht weit vom See untergebracht war, und setzte ihre Studien an den Schimpansen in den hügeligen Wäldern weitere 21 Jahre lang fort. Im Jahr 1986 veröffentlichte sie ihr beeindruckendes wissenschaftliches Hauptwerk The Chimpanzees of Gombe (dt. Die Schimpansen von Gombe ); anschließend beendete sie ihre Karriere als Feldforscherin: Sie war über die Behandlung von Schimpansen in medizinischen Labors und anderen Einrichtungen, in denen sie in Gefangenschaft gehalten wurden, empört und fühlte sich verpflichtet, Aktivistin zu werden. Die Studien an den Schimpansen von Gombe gingen in ihrer Abwesenheit dank gut ausgebildeter tansanischer Assistenten und späterer Wissenschaftlergenerationen weiter; so kamen zu dem, was Goodall begonnen hatte, jahrzehntelang weitere Daten und die wertvolle Kontinuität hinzu. Sie blieb Gombe und seinen Schimpansen sowohl persönlich als auch durch die Programme ihres Jane Goodall Institute weiterhin verbunden, war aber, abgesehen von kurzen Pausen, nur noch selten in dem alten Forschungslager anzutreffen. Stattdessen reiste sie ungefähr 300 Tage im Jahr durch die Welt, hielt Vorträge, trieb Lobbyarbeit, traf sich mit Medienvertretern und Schulkindern und verbreitete ihre inspirierende Botschaft. Hahn begriff, wie intensiv sich Goodall für den Schutz der Schimpansen im Allgemeinen und der Schimpansen von Gombe im Besonderen einsetzte und wie misstrauisch sie gegenüber allem war, was die Tiere – insbesondere im Namen der medizinischen Wissenschaft – in eine noch größere Gefahr der Ausbeutung brachte. Am Ende ihrer langen E-Mail schrieb Hahn:
    Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass die Entdeckung von SIV cpz in der Gemeinschaft von Gombe für einen Virologen die ERFÜLLUNG EINES TRAUMS ist. Angesichts der Fülle an Daten, die Sie und Ihre Kollegen im Laufe der Jahrzehnte durch Verhaltensforschung und Beobachtung gesammelt haben, ist dies das IDEALE Umfeld zur Untersuchung von Naturgeschichte, Übertragungsmustern und (evtl. fehlender) Pathogenität einer natürlichen SI V cpz -Infektion bei wilden Schimpansen. Außerdem kann dies alles völlig nichtinvasiv erfolgen. UND es gibt sicher Möglichkeiten zur Finanzierung einer solchen einzigartigen Studie. Der wahr gewordene Traum der Virologen braucht also nicht der Albtraum der Primatenforscherin zu sein, aber ich bin sicher, dass es einige Zeit dauern wird, bevor ich Sie davon überzeugen kann.
    Am Ende ließ sich Jane Goodall tatsächlich überzeugen.
    Einerseits, so erklärte sie mir in einem Interview, das wir Jahre später führten, habe sie sich überlegt: Wenn die Menschen hören, dass wilde Schimpansen ein AIDS -Virus in sich tragen, hören sie vielleicht auf, die Menschenaffen zu jagen, zu zerlegen und zu essen, weil sie Angst davor haben, sich anzustecken. Andererseits würden einige sicher sagen: »Alle diese Tiere sind für uns gefährlich, also bringen wir sie um.« Es hätte sich in beide Richtungen entwickeln können. Nicht zuletzt fürchtete sie aber auch, dass »in den medizinischen Labors eine ganz neue Welle der Forschung mit Schimpansen einsetzen würde«, in der Hoffnung, mehr über die Immunschwäche beim Menschen in Erfahrung zu bringen.
    Schließlich erteilte Jane ihre Zustimmung zu Hahns Studie, und die Arbeiten gingen weiter. Ende November 2000 erhielt Hahns Labor in Alabama die erste Materiallieferung, darunter auch drei Exkrementproben des armen Gimble. Die Reihenuntersuchung übernahm Hahns Doktorand Mario Santiago. Auch diesmal erwiesen sich alle drei Proben von Gimble im Test als positiv. Anschließend vervielfältigte Santiago einen Abschnitt der Virus-RNA, sequenzierte ihn und konnte damit bestätigen, dass es sich bei Gimbles Virus tatsächlich um SI V cpz handelte. Anscheinend handelte

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