Spillover
Zukunftsaussichten möglicherweise nicht in der Lage, eine Epidemie mit einer übertragbaren Vogelgrippe wirksam zu bekämpfen, falls sie eintreten sollte. Seine zweite Besorgnis teilen die Influenza-Experten und Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt: Angesichts seiner hohen Mutationsrate und der vielen Kontakte zwischen Menschen und infizierten Vögeln könnte das Virus eine genetische Konfiguration finden, mit der es leicht von Mensch zu Mensch übertragen wird.
»So lange H5N1 in der Welt ist, kann es zu einer Katastrophe kommen«, sagt Webster. »So lange es in der menschlichen Bevölkerung kursiert, besteht theoretisch auch die Möglichkeit, dass es die Fähigkeit zur Übertragung von Mensch zu Mensch erwerben kann.« Er hält inne. »Und dann gnade uns Gott.«
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Virenwarner
Das ganze Thema wird wie ein Virus, das durch die Luft fliegt, von den Winden der Diskussion hin und her geweht. Das Wort »Zoonose« ist zwar nicht allgemein bekannt, aber die meisten Menschen haben schon einmal von SARS oder von der Vogelgrippe gehört. Sie kennen jemanden, der eine Zeckenborreliose durchgemacht hat, und jemanden, der an AIDS gestorben ist. Sie haben von Ebola gehört und wissen, dass es ein entsetzlicher Erreger ist. Sie sind besorgt. Sie sind sich einer unbestimmten Gefahr bewusst. Aber sie haben weder die Zeit noch das Interesse, sich mit wissenschaftlichen Einzelheiten zu befassen. Ich kann aus Erfahrung sagen: Wenn Menschen hören, dass man über solche Dinge ein Buch schreibt – über Angst einflößende neue Krankheiten, über Killerviren, über Pandemien –, will manch einer die Sache kurz machen. Deshalb stellen sie die Frage: »Werden wir alle sterben?« Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, diese Frage stets mit »Ja« zu beantworten.
Natürlich werden wir alle sterben. Wir bezahlen alle Steuern und wir werden alle sterben. Die meisten von uns werden allerdings wahrscheinlich an etwas Banalerem sterben als an einem Virus, das kurz zuvor von einer Ente, einem Schimpansen oder einer Fledermaus übergesprungen ist.
Zoonosen sind mit echten, großen Gefahren verbunden, aber auch das Maß der Unsicherheit ist groß. Oder, wie Robert Webster es mir klipp und klar sagte: Es besteht keinerlei Aussicht, Wesen und Zeitpunkt der nächsten Influenza-Pandemie vorauszusagen. Dazu schwanken viele Faktoren in dem ganzen System viel zu zufällig oder nahezu zufällig. Voraussagen über alle diese Krankheiten sind generell eine unsichere Sache; sie schaffen eher falsches Vertrauen, als dass sie Informationen für begründetes Handeln liefern. Ich habe nicht nur Webster, sondern auch vielen anderen angesehenen Krankheitsexperten, darunter einigen der weltweit führenden Fachleute für HI -Viren und Virusevolution, für Ebola, SARS und generell von Fledertieren übertragene Viren, die gleichen zwei Fragen gestellt. Erstens: Wird in naher Zukunft eine so virulente, leicht übertragbare neue Krankheit auf der Bildfläche erscheinen, dass sich daraus eine Epidemie in der Größenordnung von AIDS oder der Grippe von 1918 entwickelt, an denen Zigmillionen Menschen gestorben sind? Und zweitens: Wenn ja, wie sieht sie aus und vorher wird sie kommen? Die Antworten auf die erste Frage reichten von »vielleicht« bis »wahrscheinlich«. Die Antworten auf die zweite kreisten vorwiegend um RNA -Viren, insbesondere solche, deren Reservoirwirt irgendeine Primatenart ist. Und nebenbei bemerkt: Die Annahme, dass es sich bei der nächsten großen Epidemie um eine Zoonose handeln wird, stellte keiner infrage.
Ganz ähnlich vorsichtige, begründete Spekulationen findet man auch in der wissenschaftlichen Literatur. Donald S. Burke, ein hoch angesehener Epidemiologe, der derzeit Dekan der Graduate School of Public Health der University of Pittsburgh ist, zählte schon 1997 in einem Vortrag die Kriterien auf, nach denen man bestimmte Virustypen als wahrscheinlichste Ursache einer neuen Epidemie in Betracht ziehen sollte. »Das erste Kriterium ist das naheliegendste: Pandemien in der jüngeren Menschheitsgeschichte«, 170 sagte Burke seinen Zuhörern. Das deutet unter anderem auf die Orthomyxoviren (zu denen auch die Influenzaviren gehören) und die Retroviren (darunter die HIV s) hin. »Das zweite Kriterium ist die nachgewiesene Fähigkeit, in Tierbeständen größere Epidemien zu verursachen.« Auch damit rücken die Orthomyxoviren wieder ins Rampenlicht, außerdem aber auch die Familie der Paramyxoviren mit Hendra und Nipah sowie die
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