Spillover
keine Maske. »Wissen Sie, im Labor ist es leicht, solche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Aber wenn es zwölf Uhr nachts ist und in Strömen regnet, und man arbeitet bei Dunkelheit im Licht der Autoscheinwerfer, während im Hintergrund eine hysterische Familie steht, ist es nicht immer einfach, die angemessene Vorsicht walten zu lassen. Und außerdem wusste ich es ja nicht.« Damit meint sie: Sie wusste nicht, womit sie es im Fall von Brownie zu tun hatte. »An eine Infektionskrankheit habe ich eigentlich nicht gedacht.« Auf solche Fragen reagiert sie abwehrend, denn es hat bereits eine Untersuchung ihrer Vorgehensweise gegeben, Ermittlungen. Hatte sie fahrlässig gehandelt? Sie war freigesprochen worden und hatte sogar ihrerseits Beschwerde eingereicht, weil man sie nicht ausreichend gewarnt hatte, aber für ihre Karriere dürfte es nicht gerade hilfreich gewesen sein, und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sie anonym bleiben will. Sie hat eine Geschichte zu erzählen, will diese Geschichte aber auch hinter sich lassen.
Gleich nachdem Brownie gestorben war, zog sie sich um: Stiefel, lange Hosen, schulterlange Handschuhe. Dann begann sie mit der Nekropsie. Die Eigentümer wollten unbedingt wissen, ob ihr Liebling vielleicht giftiges Gras gefressen hatte, das auch für ihre anderen Pferde eine Gefahr darstellen könnte. Die Tierärztin schnitt Brownie den Bauch auf und stellte fest, dass der Darm normal aussah. Anzeichen für Darmverschlingung oder andere Verschlüsse, die eine Kolik hätten auslösen können, gab es nicht. »Dabei habe ich ein paar Flüssigkeitsspritzer aus der Bauchhöhle auf das Bein bekommen.« Wie sie weiter erklärt, kann man bei einem Pferd keine Nekropsie vornehmen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Als Nächstes legte sie einen kleinen Schnitt zwischen der vierten und fünften Rippe, um sich den Brustkorb anzusehen. Ihr Verdacht: Wenn es keine Kolik war, dann vielleicht eine Herzerkrankung; diese Ahnung bestätigte sich sofort. »Das Herz war massiv vergrößert. Die Lunge war voller blutiger Flüssigkeit, und die gleiche Flüssigkeit war auch überall in der Brusthöhle. Das Pferd war also an Herzversagen gestorben. Mehr war nicht zu erkennen. Ob es ansteckend war, konnte ich nicht feststellen.« Sie bot an, Proben zu entnehmen und zum Test ins Labor zu schicken, aber die Eigentümer lehnten ab. Genug Informationen, genug Kosten, schlimm für Brownie. Sie wollten den Kadaver jetzt einfach mit einem Bulldozer bestatten.
»Gab es auf dem Anwesen Flughunde?«, will ich wissen.
»Da gibt es überall Flughunde.« Überall im Norden von Queensland, meint sie damit, nicht nur in Little Mulgrave. »Wenn man da durch den Busch läuft, sieht man sie zu Hunderten.« Die ganze Region von Cairns und Umgebung: warmes Klima, viele Obstbäume, viele Früchte fressende Flughunde. Die nachfolgende Untersuchung brachte jedoch keine Hinweise, dass Brownie mit Flughunden in engeren Kontakt gekommen wäre. »Vom Zufall abgesehen, konnten sie keine Erklärung dafür geben, warum sich gerade dieses Pferd angesteckt hatte.« Ohne Blut- oder Gewebeproben konnte man das Pferd später nicht einmal als »infiziert« bezeichnen. Man war auf Vermutungen angewiesen.
Unmittelbar nach der Obduktion wusch die Tierärztin sich gründlich Hände und Arme, wischte sich die Beine ab und fuhr dann nach Hause, wo sie eine Betadin-Dusche nahm. Sie hat für solche Gelegenheiten stets einen großen Vorrat an Betadin, einem professionellen Desinfektionsmittel, zu Hause. Sie nahm eine gründliche chirurgische Waschung vor und ging dann nach dieser anstrengenden, aber nicht allzu ungewöhnlichen Nacht ins Bett. Erst neun oder zehn Tage später bekam sie Kopfschmerzen und fühlte sich krank. Ihr Arzt vermutete eine Grippe oder Erkältung, vielleicht auch eine Mandelentzündung. »Mandelentzündung habe ich oft«, sagt sie. Er gab ihr Antibiotika und schickte sie nach Hause.
Eine Woche war sie krankgeschrieben und plagte sich mit Symptomen herum, die sich nach einer Grippe oder Bronchitis anfühlten: mäßig starke Lungenentzündung, Halsschmerzen, starker Husten, Muskelschwäche, Erschöpfungsgefühle. Irgendwann fragte sie ein leitender Kollege, ob sie schon daran gedacht habe, dass sie sich bei dem toten Pferd vielleicht mit dem Hendra-Virus angesteckt hatte. Die junge Tierärztin hatte vor dem Umzug ins tropische Cairns in Melbourne, weit weg im gemäßigten Klima Südaustraliens, studiert und auf der
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