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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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Porton Down. Man kann sich die unweit von Stonehenge in der hügeligen, ländlichen Region südwestlich von London angesiedelte Einrichtung ein bisschen wie Los Alamos vorstellen. Nur dass sie nicht im Gebirge von New Mexico liegt, sondern in der englischen Provinz, und dass sie mit Bakterien und Viren anstelle von Uran und Plutonium arbeitet. In seiner Anfangszeit war Porton Down eine Versuchsstation für die Entwicklung chemischer Waffen wie Senfgas, während des Zweiten Weltkrieges arbeiteten die Wissenschaftler dort auch an biologischen Waffen, die sich von Milzbrand- und Botulismusbakterien ableiteten. Nachdem sich die politischen Verhältnisse geändert hatten und die Skrupel der Politiker gewachsen waren, verlagerte sich das Schwergewicht der Arbeiten in Porton Down – wie auch am USAMRIID – auf die Verteidigung, das heißt auf die Erforschung von Gegenmaßnahmen gegen biologische und chemische Waffen. Dies erforderte Hochsicherheitseinrichtungen und Methoden zur Untersuchung gefährlicher neuer Viren; deshalb verfügte Porton Down auch über die Voraussetzungen, um 1976 seine Hilfe anzubieten, als die WHO ein Team zur Untersuchung einer rätselhaften Krankheitsepidemie im Südwesten des Sudans zusammenstellte. In jenem schicksalsschweren Herbst nun trafen tiefgefrorene Blutproben von todkranken sudanesischen Patienten zur Analyse ein; etwa zur selben Zeit wurden Blutproben aus Yambuku (Zaire) an die Centers for Disease Control geschickt. Die Labors sollten den Feldforschern bei der Beantwortung ihrer wichtigsten Frage helfen: Was ist das eigentlich? Es hatte noch nicht einmal einen Namen.
    Einer der Wissenschaftler von Porton Down war Geoffrey S. Platt. Am 5. November 1976 füllte er im Rahmen eines Experiments eine Spritze mit der homogenisierten Leber eines Meerschweinchens, das mit dem Virus aus dem Sudan infiziert war. Vermutlich wollte er die Flüssigkeit einem anderen Versuchstier injizieren. Aber dabei ging etwas schief, und er stach sich selbst in den Daumen.
    Platt wusste nicht genau, mit welchem Krankheitserreger er da gerade in Kontakt gekommen war, aber eines war klar: Der hatte es in sich. Infektionen mit diesem nicht identifizierten Virus endeten zu mehr als 50 Prozent tödlich, das wusste Platt. Er pellte sich sofort aus den Gummihandschuhen, steckte den Daumen in eine Hypochloridlösung (Chlorbleiche, die Viren abtötet) und bemühte sich, einen oder zwei Blutstropfen herauszudrücken. Es kamen keine. Er konnte nicht einmal eine Stichwunde sehen. Das war ein gutes Zeichen, wenn es bedeutete, dass es gar keine Stichwunde gab, aber ein schlechtes, wenn das kleine Loch sich sofort geschlossen hatte. Im Licht der nachfolgenden Ereignisse ist Platts winzige Verletzung ein Beleg, dass selbst eine sehr kleine Dosis von Ebolaviren ausreicht, um eine Infektion in Gang zu setzen, zumindest wenn diese Dosis unmittelbar ins Blut eines Menschen gelangt. So effektiv sind nicht alle Krankheitserreger. Manche brauchen einen größeren »Landungstrupp«, um erfolgreich Fuß zu fassen. Ebolaviren sind zwar hochwirksam, haben aber nur eine geringe Reichweite. Über die Einatemluft kann man sie sich nicht zuziehen, doch sobald nur eine winzige Virusmenge in eine kleine Hautverletzung gelangt (und solche kleinen Verletzungen gibt es immer), dann gnade dir Gott. Oder, wissenschaftlich ausgedrückt: Die Kontagiosität ist niedrig, die Infektiosität hoch. Sechs Tage nach dem Nadelstich wurde Geoffrey Platt krank.
    Anfangs litt er nur unter Übelkeit, Erschöpfung und Bauchschmerzen. Angesichts der Vorgeschichte wurden aber schon diese Beschwerden sehr ernst genommen. Man schickte ihn in eine Spezialstation für Infektionskrankheiten in einer Klinik unweit von London, und dort wurde er in einem Isolationszelt mit Kunststoffwänden und Unterdruck untergebracht. Er erhielt Interferonspritzen zur Unterstützung des Immunsystems und Blutserum eines genesenen Ebola-Patienten, das aus Afrika eingeflogen worden war und ihm einige zusätzliche Antikörper verschaffen sollte. Am vierten Tag stieg seine Temperatur dramatisch an, und er musste sich übergeben. Dies ließ darauf schließen, dass das Virus sich vermehrte. Die nächsten drei Tage stellten die Krise dar: Erbrechen, Durchfall, ein Hautausschlag, der sich ausbreitete, Pilze, die in Platts Rachen wuchsen, deuteten auf eine Immunschwäche hin. Das alles waren düstere Vorzeichen. Während der ganzen Zeit erhielt er weiteres Serum. Vielleicht half es.
    Am achten Tag

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