Spillover
unterwegs.) Irgendwann ist die Epidemie lokal ausgebrannt – sie endet entweder von selbst oder wird durch Eingriffe zum Stillstand gebracht. Dann verschwindet das Virus wie ein Trupp Urwaldguerillas. »Da kann man nichts machen«, sagt Leroy und lässt dabei vorübergehend die Ratlosigkeit eines ansonsten geduldigen Mannes erkennen. Damit meint er, dass man nichts machen kann, außer es immer wieder zu versuchen, weiter zu arbeiten, Proben aus dem Wald zu sammeln und bei Epidemien einzugreifen, wenn sie auftreten. Wann und wo Ebola das nächste Mal überspringen wird, kann niemand voraussagen. »Das entscheidet das Virus offenbar selbst.«
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Welle oder Teilchen?
Das geographische Verteilungsmuster der Ebola-Ausbrüche wird kontrovers diskutiert. Das Muster kennen alle, aber die Experten streiten darüber, was es bedeutet. Die Diskussion dreht sich insbesondere um das Ebolavirus vom Zaire-Typ, jenen Vertreter der Ebolavirus-Familie, der in Afrika am häufigsten – jedoch an unterschiedlichen Stellen – aufgetaucht ist und deshalb am lautesten nach einer Erklärung schreit. Von seinem ersten bekannten Erscheinen bis zur Gegenwart, von Yambuku (1976) über Tandala (1977), die Goldgräberlager am Oberlauf des Ivindo (1994), Kikwit (1995), Mayibout 2 (1996), Booué (Ende 1996), das nördliche Grenzgebiet zwischen Gabun und der Republik Kongo (2001–2002), die Region Mbomo (2002–2003), das erneute Auftauchen in Mbomo (2005) bis hin zu den beiden bisher letzten Auftritten an dem Fluss Kasai in der heutigen Demokratischen Republik Kongo (2007–2009) ist das Zaire-Ebolavirus scheinbar kreuz und quer in Zentralafrika herumgesprungen. Was ist da los? Ist es eine Zufallsverteilung, oder hat sie Ursachen? Und wenn sie Ursachen hat, welche sind das?
Mittlerweile haben sich zwei Denkschulen entwickelt. Mir kommen sie vor wie eine moderne Variante des klassischen Streits um die Frage, ob Licht aus Wellen oder Teilchen besteht. Wie Sie vielleicht noch aus dem Physikunterricht wissen, äußerte Christiaan Huygens im 17. Jahrhundert die Vermutung, dass Licht aus Wellen besteht, Isaac Newton dagegen vertrat die Ansicht, es müsse aus Teilchen zusammengesetzt sein. Beide hatten für ihre Überzeugungen experimentelle Belege. Erst zwei Jahrhunderte später konnte man mit der Quantenmechanik erklären, dass Wellen und Teilchen keine Alternativen sind, zwischen denen man sich entscheiden muss, sondern eine untrennbare Dualität darstellen oder zumindest ein Artefakt sind, das durch die Beschränkungen der verschiedenen Beobachtungsmethoden entsteht.
Die Hypothese von der Teilchennatur von Ebola besagt, dass es sich um ein relativ altes, in den Wäldern Zentralafrikas allgegenwärtiges Virus handelt und dass jede Epidemie unter Menschen ein unabhängiges Ereignis ist, das sich in erster Linie durch eine unmittelbare Ursache erklären lässt. Diese könnte zum Beispiel so aussehen: Jemand isst einen infizierten toten Schimpansen; der Kadaver ist infiziert, weil der Schimpanse eine Frucht gefressen hat, an der zuvor ein Reservoirwirt geknabbert hatte. Die nachfolgende Epidemie unter Menschen erwächst aus einem lokalen Zufallsereignis, das heißt, jede Epidemie ist eine Art Teilchen und unabhängig von anderen Epidemien. Der führende Vertreter dieser Vorstellung ist Eric Leroy. »Ich glaube, das Virus ist in dem Reservoirwirt ständig vorhanden«, sagt er zu mir. »Manchmal erfolgt dann die Übertragung vom Reservoirwirt auf andere Arten.«
Nach der Wellentheorie ist Ebola in Zentralafrika noch nicht lange heimisch – im Gegenteil: Es ist ein relativ neues Virus, das von einem Virusvorfahren – vielleicht aus der Region von Yambuku – abstammt und erst in jüngster Zeit an die Stellen gelangt ist, an denen es sich bemerkbar gemacht hat. Danach sind die lokalen Epidemien keine unabhängigen Ereignisse, sondern als eine Art Wellenphänomen miteinander verknüpft. Das Virus hat sein Verbreitungsgebiet in den letzten Jahrzehnten ausgeweitet und an neuen Orten neue Populationen von Reservoirwirten infiziert. Nach dieser Vorstellung stellt jede Epidemie ein lokales Ereignis dar, das sich durch eine übergeordnete, primäre Ursache – das Eintreffen der Welle – erklären lässt. Der wichtigste Vertreter der Wellentheorie ist der amerikanische Ökologe Peter D. Walsh, der häufig in Zentralafrika gearbeitet hat und auf die Analyse ökologischer Befunde mit mathematischen Theorien spezialisiert ist.
»Ich glaube, es verbreitet
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