Spillover

sie gestorben, wenn er ihr nicht die Vorsichtsmaßnahmen beigebracht hätte, die er ungefähr zur gleichen Zeit von Dr. Leroy und den anderen Wissenschaftlern gelernt hatte, als er ihnen im Wald bei der Suche nach infizierten Tieren half: Sterilisiere alles mit Chlorbleiche, wasch dir immer die Hände und fasse keine toten Tiere an. Mittlerweile waren die schlimmen Tage vorüber, und Estelle, der Prosper den Arm um die Hüfte gelegt hatte, war eine lächelnde, gesunde junge Frau.
    Prosper hatte seine eigenen Erinnerungen an die Epidemie. Er hatte nicht nur um Estelles Verluste getrauert, sondern auch aus anderen Gründen. Er zeigte uns ein Buch, das fast aussah wie eine Familienbibel – aber es war ein botanisches Bestimmungsbuch. Auf das Vorsatzpapier hatte er eine Liste von Namen geschrieben: Apollo, Cassandra, Afrodita, Ulises, Orfeo und fast zwanzig weitere. Es waren Gorillas, eine ganze Gruppe, die er gut gekannt hatte. Er war ihnen jeden Tag gefolgt und hatte sie in Lossi liebevoll beobachtet. Am liebsten, so erzählte er, war ihm Cassandra gewesen. Apollo war der Silberrücken. »Sont tous disparus en deux mille-trois« , sagte er – 2003 sind sie alle verschwunden. In Wirklichkeit waren sie nicht völlig disparus . Zusammen mit anderen Spurenlesern war er dem letzten Weg der Gruppe gefolgt und hatte sechs tote Gorillas gefunden. Welche sechs es waren, sagte er nicht. Cassandra, tot und zusammen mit anderen auf einem von Fliegen umschwärmten Haufen? Es war sehr schwer, sagte er. Er hatte nicht nur Mitglieder seiner Menschenfamilie verloren, sondern auch seine Gorillafamilie.
    Prosper stand lange mit dem Buch in der Hand da, in dem er uns die Namen gezeigt hatte. Gefühlsmäßig begriff er, was die Wissenschaftler, die sich mit Zoonosen beschäftigen, aus sorgfältigen Beobachtungen, Modellen und Daten wissen. Menschen und Gorillas, Pferde, Duckerantilopen und Schweine, Schimpansen, Flughunde und Viren: Wir sitzen alle im selben Boot.
    8 Johnson et al. (1978), S. 272
    9 Johnson et al. (1978), S. 288
    10 Breman et al. (1999), S. 139
    11 Heymann et al. (1980), S. 372–373
    12 Towner et al. (2008), S. 1
    13 Hewlett und Hewlett (2008), S. 6
    14 Hewlett und Amola (2003), S. 1245
    15 Hewlett und Hewlett (2008), S. 75
    16 Hewlett und Hewlett (2008), S. 75
    17 Preston (1995), S. 110–114
    18 Yaderny Kontrol (Nuclear Control) Digest, Nr. 11, Center for Policy Studies in Russia, Sommer 1999.
    19 Walsh et al. (2005), Diskussion
    20 Leroy et al. (2004), S. 390

KAPITEL III Risiko



Balbir Singh reiste mit dem Boot nach Kapit und entnahm Blutproben von acht Patienten: Er stach jedem Einzelnen in den Finger und nahm mit einem Stück Filterpapier einen Tropfen Blut auf. Nach Kuching zurückgekehrt, unterwarfen er und der junge Forschungsassistent Anand Radhakrishnan die Proben der sogenannten Polymerasekettenreaktion oder PCR , einem molekularen Test, der in der Malariadiagnostik wie in vielen anderen Bereichen mittlerweile das neue Standardverfahren war; mit der PCR kann man einen Erreger viel präziser nachweisen, als wenn man infiziertes Blut im Mikroskop betrachtet.
    Die PCR -Vermehrung der DNA -Fragmente und ihre nachfolgende Sequenzierung (die Analyse der genetischen Information) liefert viel weitreichendere Aufschlüsse als die Mikroskopie. Mit ihrer Hilfe kann der Wissenschaftler den genetischen Bauplan für die Zellstruktur Buchstabe für Buchstabe ablesen. Dieser Bauplan ist in Form der Nucleotide niedergeschrieben, der Bausteine von DNA - und RNA -Molekülen. Jedes Nucleotid besteht aus einer stickstoffhaltigen Base, die an ein Zuckermolekül und eine oder mehrere Phosphatgruppen gekoppelt ist. Wenn man die DNA mit einer Wendeltreppe vergleicht, die von zwei spiralförmigen Strängen gehalten wird, bilden die stickstoffhaltigen Basen die Treppenstufen zwischen den Strängen. In der DNA gibt es vier verschiedene Basen – molekulare Bestandteile, die unter den Namen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin bekannt sind und als A, C, G und T abgekürzt werden. Sie sind die kleinen Bausteine im großen genetischen Scrabblespiel. Im RNA -Molekül, das an der Übersetzung der DNA in Proteine mitwirkt, steht ein anderer Baustein, das Uracil, an der Stelle des Thymins; die Scrabblesteine heißen hier also A, C, G und U .
    Singh und Cox-Singh suchten mithilfe von Radhakrishnan nach DNA - und RNA -Fragmenten, die allgemein für Plasmodium -Parasiten charakteristisch sind – und fanden eine ganze Reihe. Aber diese Fragmente