Spillover
sich innerhalb der Reservoirspezies von einem Tier zum anderen«, sagte Walsh auf meine Frage, wo und wie das Virus wandert. »Der Reservoirwirt ist wahrscheinlich mit einer großen Population vertreten und wandert nicht viel. Zumindest wird das Virus nicht über große Strecken übertragen.« Walsh behauptet nicht, er wüsste, um welche Spezies es sich dabei handelt, aber es muss ein Tier sein, das relativ häufig und relativ sesshaft ist. Ein Nagetier? Ein kleiner Vogel? Eine standorttreue Fledertierart?
Für beide Hypothesen gibt es verschiedene Indizien, die aber in sich nicht stimmig sind. Ein solcher Befund sind die genetischen Unterschiede zwischen den Varianten des Ebolavirus, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten bei Menschen, Gorillas und anderen Tieren gefunden wurden oder ihre Spuren hinterlassen haben. Allgemein scheint Ebola mit ähnlicher Geschwindigkeit zu mutieren wie andere RNA -Viren (das heißt relativ schnell). Das Ausmaß der Abweichungen, die man zwischen verschiedenen Ebola-Stämmen nachweisen kann, gibt unter Umständen wichtige Hinweise auf ihren räumlichen und zeitlichen Ursprung. In einem Artikel, den Peter Walsh zusammen mit zwei anderen Autoren – der Krankheitsökologin Leslie Real von der Emory University und einem jüngeren Kollegen namens Roman Biek – im Jahr 2005 veröffentlichte, kombinierte er solche genetischen Daten mit geographischen Analysen und gelangte so zu dem Schluss, dass alle bekannten Varianten des Ebolavirus von einem Vorfahren abstammen, der stark dem Yambuku-Virus von 1976 ähnelt. »Insgesamt sprechen unsere Befunde eindeutig für die Schlussfolgerung, dass es [das Ebolavirus] sich von einem Ursprung, der Mitte der 1970er Jahre in der Nähe von Yambuku liegt, über Zentralafrika ausgebreitet hat«, so schrieben sie. 19 Auch die Überschrift ihres Artikels (»Wellenförmige Ausbreitung von Zaire-Ebola«) ließ keinen Zweifel zu. Die wandernde Welle führt nach ihrer Argumentation zu einer hohen Sterblichkeit unter den Menschenaffen. Manche regionalen Populationen – beispielsweise die Gorillas im Wald von Minkébé, im Lossi-Schutzgebiet und in der Region von Mobai Bai – wurden praktisch ausgelöscht, weil Ebola wie ein Tsunami über sie hereingebrochen war.
Die Teilchenhypothese bedient sich zum größten Teil der gleichen Daten, interpretiert sie aber anders und gelangt zu einem Bild, das keine wandernde Welle zeigt, sondern unabhängige Übersprünge. Die Arbeitsgruppe von Eric Leroy sammelte noch andere Daten, zum Beispiel Muskel- und Knochengewebeproben von Gorillas, Schimpansen und Duckerantilopen, die man in der Nähe von Epidemie-Brennpunkten gefunden hatte. An manchen Kadavern (insbesondere bei den Gorillas) entdeckten sie Anhaltspunkte für eine Ebola-Infektion, wobei das Virus bei den einzelnen Tieren kleine, aber deutliche genetische Unterschiede aufwies. Außerdem analysierten die Wissenschaftler mehrere Proben von menschlichem Gewebematerial aus den Epidemien in Gabun und Kongo von 2001 bis 2003; dabei identifizierten sie acht unterschiedliche Varianten des Zaire-Ebolavirus. (Die Unterschiede waren jedoch geringer als die zwischen den fünf Hauptvirenarten der Ebola-Familie.) Solche unterschiedlichen Viren sollte man ihrer Meinung nach vor dem Hintergrund relativ stabiler genetischer Eigenschaften betrachten. Die Unterschiede zwischen den Varianten lassen auf langfristige Isolation an unterschiedlichen Orten schließen, nicht aber auf eine rollende Welle mit neu ankommenden, relativ einheitlichen Viren. »Ebola-Epidemien haben also – im Gegensatz zu den Vorschlägen anderer – wahrscheinlich nicht die Form eines einzigen Ausbruchs, der sich durch das ganze Kongobecken ausbreitet«, schrieb Leroys Arbeitsgruppe in gezielter Anspielung auf die Hypothese von Walsh, »sondern sie sind auf mehrfache Episoden einer Ansteckung von Menschenaffen aus dem Reservoir zurückzuführen.« 20
Der scheinbare Widerspruch zwischen Leroys Teilchen- und Walshs Wellen-Hypothese spiegelt nach meiner Überzeugung eine Diskussion wider, in der beide Seiten aneinander vorbeigeredet haben. Mit anderen Worten: Der eine hat »Äpfel!« gerufen, der andere »Nein, keine Apfelsinen!«. Beide könnten recht haben oder auch nicht, aber in jedem Fall befinden sich ihre Argumente nicht auf Kollisionskurs.
Ist Licht nun eine Welle oder ein Teilchen? Die neckische Antwort der modernen Quantenmechanik lautet: Ja. Hat nun Peter Walsh oder Eric Leroy mit
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