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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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Infektionsbekämpfung arbeiteten; auch in der allgemeinen Bevölkerung war die Nachfrage groß. Circle K, eine Kette von Gemischtwarenläden, hatte fast eine Million Masken verkauft; Sa Sa Cosmetics brachte es auf 1,5 Millionen. Der Preis für eine Maske hatte sich vervierfacht. Trotz der allgemeinen Beunruhigung wegen der Übertragung von Mensch zu Mensch bestand aber nach wie vor großes Interesse an der Frage, wo das Virus im Tierreich seinen Ursprung hatte.
    Die Erkenntnisse über die Larvenroller nicht zuerst in einer Fachzeitschrift, sondern auf einer Pressekonferenz zu verkünden, war ungewöhnlich, aber nicht beispiellos. Die Veröffentlichung in einem Fachblatt hätte wegen der redaktionellen Arbeiten, der Begutachtung, des Veröffentlichungsstaus und der Vorlaufzeiten länger gedauert. Dass man diesen Prozess umging, ist ein Zeichen dafür, welche Eile angesichts der Besorgnis der Bürger, der Dringlichkeit der Epidemie, möglicherweise aber auch wegen der wissenschaftlichen Konkurrenz herrschte. Die gleiche Eile hatten auch die CDC in Atlanta erkennen lassen, als sie nur zwei Monate zuvor – ebenfalls auf einer Pressekonferenz – bekannt gegeben hatten, ihre Wissenschaftler hätten ein neues Coronavirus als mutmaßliche Ursache von SARS identifiziert. In der Bekanntmachung der CDC wurde nicht erwähnt, dass Malik Peiris und seine Arbeitsgruppe drei Tage zuvor das gleiche Virus gefunden und seine Verbindung zu SARS bestätigt hatten. Dass die CDC das Erstlingsrecht für sich beanspruchte, was in der Welt insgesamt nicht bemerkt wurde, machte die Wissenschaftler an der Universität Hongkong wahrscheinlich misstrauisch gegenüber ihren Konkurrenten in Atlanta und anderswo, und es dürfte zu der Entscheidung beigetragen haben, Guan Yis Entdeckung so früh wie irgend möglich hinauszuposaunen.
    Guans Befunde hatten unter anderem unmittelbar zur Folge, dass die chinesischen Behörden den Verkauf von Larvenrollern verboten. Angesichts der unsicheren Erkenntnisse verbannte die Regierung auch 53 weitere Lieferanten von Wildspezialitäten von den Märkten. Das Verbot führte zwangsläufig zu wirtschaftlichen Verlusten und zu so lautstarken Protesten der Tierzüchter und Händler, dass es Ende Juli, nach einer offiziellen Risikobewertung, wieder aufgehoben wurde. Als Begründung wurde angeführt, eine andere Wissenschaftlergruppe habe eine Reihenuntersuchung an Larvenrollern vorgenommen und keine Anhaltspunkte für ein SARS -ähnliches Virus gefunden. Nach den neuen Vorschriften durften Larvenroller, die in Farmen aufgewachsen waren, wieder gehandelt werden; nur der Verkauf wild gefangener Tiere blieb verboten.
    Guan Yi war wegen der Zweifel an seinen Befunden ein wenig verärgert, kämpfte sich aber über wissenschaftliche Kanäle weiter nach vorn: Im folgenden Oktober präsentierte er in der Fachzeitschrift Science eine detaillierte Erläuterung und die zugrundeliegenden Daten mit Tabellen, Abbildungen und Gensequenzen. Auf der langen Liste der Koautoren standen auch Leo Poon und Malik Peiris, seine Kollegen von der Universität Hongkong. Guan und die anderen fassten ihre Erkenntnisse in sorgfältig gewählte Worte: Sie betonten, die Infektion der Larvenroller müsse nicht zwangsläufig bedeuten, dass diese Tiere auch der Reservoirwirt des Virus seien. Sie könnten sich auch »an einer anderen, bisher unbekannten tierischen Quelle angesteckt haben, die dann in der Natur das eigentliche Reservoir darstellt«. 50 Möglicherweise hätten die Larvenroller dann (wie die mit Hendra infizierten Pferde in Australien) als Verstärkerwirte gewirkt. Eigentlich ging es nach Ansicht von Guan und seinen Kollegen aber darum, dass die nassen Märkte wie Dongmen und Chatou den SARS -ähnlichen Coronaviren Gelegenheiten boten, »sich zu vermehren und auf neue Wirte, auch auf Menschen, überzugehen, und dies ist aus Sicht der Volksgesundheit von entscheidender Bedeutung«.
    Als der Artikel erschien, hatte man die SARS -Epidemie des Jahres 2003 bereits zum Stillstand gebracht; insgesamt waren 8098 Menschen infiziert gewesen, und 774 davon waren gestorben. Der letzte Fall wurde am 15. Juni in Taiwan erkannt und isoliert. Hongkong hatte man für » SARS -frei« erklärt, ebenso Singapur und Kanada. Angeblich war die ganze Welt » SARS -frei«. Genau genommen bedeutet eine solche Erklärung aber nur, dass derzeit unter Menschen keine SARS -Infektionen wüten. Das Virus war nicht ausgerottet. Die Krankheit ist eine Zoonose, und kein

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