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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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sammelte. Um ihn auf dieses Thema zu bringen, frage ich: »Haben Sie sich an der Feldarbeit beteiligt?«
    »Nein, ich bin Molekularbiologe«, sagt er. Ich denke schon, es sei, als hätte ich Jackson Pollock gefragt, ob er Häuser anstreichen würde, aber Leo Poon nimmt mir die Frage nicht übel. Er lässt die Ehre gern denen, denen sie gebührt. Nein, das habe einer seiner Kollegen gemacht, ein hartgesottener Bursche namens Guan Yi, der mit dem Instinkt eines Epidemiologen und der Kaltblütigkeit eines Chirurgen ausgestattet sei. Er sei nach China gereist und habe unter Mitarbeit einiger einheimischer Beamter auf dem größten Lebendtiermarkt von Shenzen Abstriche aus Rachen, Anus und Kloake der angebotenen Tiere entnommen. Die Proben leitete er zuerst an Leo Poon (der die molekularbiologischen Analysen vornahm), Malik Peiris und sein eigenes Labor weiter, später wurden sie auch an Wissenschaftler und Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt geschickt. Sie lenkten den Verdacht auf eine Säugetierart, die als Larvenroller bezeichnet wird.
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    Gaumenkitzel
    In einem dicht bevölkerten Land mit 1,3 Milliarden hungrigen Bewohnern sollte man sich nicht wundern, dass die Menschen auch Schlangen essen. Ebenso wenig sollte es uns überraschen, dass es in Kanton Rezepte für Hundefleisch gibt. Vor diesem Hintergrund ist auch gebratene Katze nichts Schockierendes, sondern eher eine traurige Notwendigkeit. Aber der Larvenroller ( Paguma larvata ) ist keine Hauskatze, sondern gehört zur Familie der Schleichkatzen oder Viverridae. Dass solche ungewöhnlichen Wildtiere insbesondere im Perlflussdelta als Lebensmittel eine Rolle spielen, liegt weniger an begrenzten Ressourcen, schierer Notwendigkeit oder alten Traditionen als vielmehr am Wirtschaftsboom und der relativ neuen Mode, ausgefallen speisen zu wollen. Beobachter der chinesischen Kultur sprechen vom »Zeitalter der wilden Aromen«.
    Einer dieser Beobachter ist Karl Taro Greenfield, der 2003 in Hongkong als Redakteur der Time Asia tätig war. Er leitete die Berichterstattung des Magazins über SARS und schrieb darüber wenig später auch ein Buch mit dem Titel China Syndrome . Bevor er in die Redaktion ging, hatte Greenfield einige Jahre lang über das »neue Asien« berichtet und bei seinen Reisen auch erkundet, was die Menschen so auf den Tellern hatten. Er schreibt:
    Der Ausschnitt der Tierwelt, dem die Südchinesen kulinarische Wertschätzung angedeihen lassen, war schon immer größer als bei allen anderen Völkern der Erde. Im Zeitalter der wilden Aromen nahm der Appetit auf Wildfleisch aber in einem Maß zu, dass das Spektrum heute praktisch alle Spezies zu Wasser, zu Lande und in der Luft umfasst. 48
    Die »wilden Aromen« (auf Mandarin yewei ) galten als Mittel, um Ansehen, Wohlstand und Glück zu erlangen. Der Verzehr von Wildtierarten, so erklärte Greenfield, war nur ein Aspekt der Prahlerei mit Luxusgütern oder kostspieligem Konsum (etwa der Besuch von Bordellen, in denen tausend Frauen hinter einer Glaswand angeboten werden). Die kulinarische Mode konnte nahtlos an frühere Traditionen anknüpfen – eine fantasievolle Küche, natürliche Heilmittel und exotische Aphrodisiaka (wie Tigerpenis) – und ging dann weit darüber hinaus. Wie Greenfield von einem Beamten erfuhr, existierten allein in der Stadt Guangzhou mittlerweile 2000 Restaurants für »Wildspezialitäten«. Vier weitere erhielten ihre Lizenz allein in der einen Stunde, die Greenfield im Büro des Mannes verbrachte.
    Ihren Nachschub bezogen diese Lokale aus den »nassen Märkten« der Provinz Guangdong, riesigen Basaren, auf denen in langen Käfigreihen lebende Tiere angeboten wurden, etwa dem Chatou-Wildtiermarkt in Guangzhou oder dem Dongmen-Markt in Shenzen. Der Chatou-Markt nahm 1998 den Betrieb auf und wurde innerhalb von fünf Jahren zu einem der größten Wildtiermärkte in China, auf dem insbesondere Säugetiere, Vögel, Frösche, Schildkröten und Schlangen gehandelt werden. Zwischen Ende 2000 und Anfang 2003 führte ein Wissenschaftlerteam aus Hongkong eine Untersuchung durch, die erfasste, welche wilden Tiere in Chatou, Dongmen und zwei anderen Großmärkten in Guangdong im Angebot waren. Im Vergleich zu einer früheren Untersuchung aus den Jahren 1993/94 fand das Team einige Veränderungen und neue Trends.
    Erstens hatte das schiere Volumen des Wildtierhandels offensichtlich zugenommen. Zweitens gab es mehr (legalen oder heimlichen) grenzüberschreitenden Handel: Wildtiere aus

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