Spillover
anderen südostasiatischen Staaten wurden nach Südchina eingeführt. Jetzt tauchten auch schmackhafte, aber kostbare Exemplare gefährdeter Arten auf, darunter die Borneo-Sumpfschildkröte ( Orlitia borneensis ) und die Birma-Sternschildkröte ( Geochelone platynota ). Drittens bot jetzt eine größere Zahl gewerbsmäßiger Züchter in Gefangenschaft großgezogene Tiere an. Manche Frosch- und Schildkrötenarten wurden in Farmen gehalten. Das Gleiche galt Gerüchten zufolge auch für Schlangen. Kleine Farmen für Larvenroller, die in Zentral-Guangdong und im Süden der Provinz Jianxi lagen, trugen dazu bei, die Nachfrage nach diesen Tieren zu befriedigen. Das Angebot an drei besonders beliebten Wildtieren – neben dem Larvenroller auch der Chinesische Sonnendachs und der Schweinsdachs – stammte offenbar sogar zum größten Teil aus Zuchtbetrieben. Ein Indiz für diese Annahme war die Beobachtung des Forscherteams, dass die Tiere relativ gut ernährt, unverletzt und zahm aussahen. Wären sie in freier Wildbahn gefangen worden, wären sie wahrscheinlich ängstlicher gewesen und hätten Verletzungen von den Fallen oder Spuren von Misshandlungen aufgewiesen.
Aber selbst wenn die Tiere gesund von den Farmen kamen, herrschten auf den Märkten alles andere als zuträgliche Bedingungen. »Die Tiere werden auf winzigem Raum zusammengedrängt und kommen häufig in engen Kontakt mit anderen wilden und/oder domestizierten Tieren wie Hunden und Katzen«, schrieb das Wissenschaftlerteam. »Viele sind entweder krank oder haben offene Wunden und werden nicht einmal mit dem Nötigsten versorgt. An mehreren Ständen, die sich darauf spezialisiert haben, werden die Tiere häufig gleich auf dem Markt geschlachtet.« 49 Aus offenen, übereinander gestapelten Drahtkäfigen konnten die Exkremente eines Tieres auf ein anderes herabregnen. Es herrschte biologisches Chaos. Fast nebenbei stellt die Arbeitsgruppe fest: »Außerdem können im Umfeld dieser Märkte Tierkrankheiten leicht den Wirt wechseln und auf den Menschen überspringen.«
Unter solchen Vorzeichen begab sich Guan Yi, der unerschrockene Mikrobiologe der Universität Hongkong, auf den Dongmen-Markt in Shenzen und überredete die Händler, ihn Abstriche und Blutproben von einigen Tieren nehmen zu lassen. Wie er sie im Einzelnen überzeugte, ist bis heute ein Rätsel. War es seine persönliche Ausstrahlung? Das Erklären der wissenschaftlichen Notwendigkeit? In jedem Fall half offenbar ein dickes Bündel Hongkong-Dollars in seiner Hand. Er betäubte nacheinander 25 Tiere, machte Abstriche von Schleimhäuten und Exkrementen, entnahm Blut und brachte die Proben zur Analyse nach Hongkong. Die Schweinsdachse waren sauber. Die Chinesischen Hasen waren sauber. Die Eurasischen Biber waren sauber. Die Hauskatzen waren sauber. Guan hatte auch Proben von sechs Larvenrollern genommen, und die waren nicht sauber: An allen sechs waren Spuren eines Coronavirus zu erkennen, das SARS -CoV ähnelte. Auch bei der Exkrementprobe eines Marderhundes (eine Art Wildhund, der wie ein überernährter Fuchs mit der Fellzeichnung eines Waschbären aussieht) fiel der Test auf das Virus positiv aus. Insgesamt wiesen die Befunde aber vor allem auf die Larvenroller hin.
Diese Entdeckung war der erste konkrete Hinweis, dass es sich bei SARS um eine Zoonose handelt; sie wurde am 23. Mai 2003 auf einer Pressekonferenz der Universität Hongkong verkündet. Einen Tag später erschien in der South China Morning Post , der führenden englischsprachigen Zeitung in Hongkong, eine Titelgeschichte mit der Schlagzeile: »Wissenschaftler bringen Larvenroller mit der SARS -Epidemie in Verbindung.« Mittlerweile war den Bewohnern der Stadt durchaus bewusst, dass SARS nicht nur mit Körperflüssigkeiten und Fleisch wilder Tiere übertragen wird, sondern auch durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch. Zuvor hatten die Morning Post und andere Zeitungen in Hongkong ihre Berichterstattung zum Thema SARS mit eindringlichen Fotos von Menschen mit Gesichtsmasken garniert – ein maskiertes Paar beim Küssen, ein Krankenhausmitarbeiter, der Maske und Visier vorführt, eine Schauspielerin auf einer Autoshow, deren Gesichtsmaske mit Autowerbung geschmückt ist, aber auch Pflegekräfte und Soldaten, die in vollständigen Schutzanzügen die Infektion bekämpfen. Die Versorgungsbehörde von Hongkong verteilte 7,4 Millionen Masken an Schulen, medizinisches Personal und Gesundheitsbeamte, die an der vordersten Front der
Weitere Kostenlose Bücher