Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
Vom Netzwerk:
2003 nicht zu einem Musterbeispiel für Glück und effiziente Bekämpfungsmaßnahmen geworden, sondern die Geschichte sähe viel düsterer aus.
    Eine solche düstere Geschichte bleibt noch zu erzählen, wenn auch vielleicht nicht über dieses Virus, sondern ein anderes. Wir können davon ausgehen, dass die nächste große Epidemie der gleichen perversen Gesetzmäßigkeit unterliegen wird wie die Spanische Grippe: hohe Ansteckungsgefahr und erst später erkennbare Symptome. Das wird ihr helfen, wie ein Todesengel durch Großstädte und über Flughäfen zu wandern.
    Einige Tage nach unserem Ausflug in die Fledermaushöhle verabschiedete ich mich von Aleksei Chmura und stieg in die Maschine zurück nach Guangzhou. Dort musste ich auf dem Flughafen einige Stunden totschlagen, und in dieser Zeit bezahlte ich für ein Schinkensandwich und zwei Latte macchiato mehr, als ich in einer Woche in den Cafés und Nudel-Imbissbuden von Guilin ausgegeben hatte. Dann trat ich den Weiterflug an. Neben mir in der gleichen Reihe saßen zwei japanische Touristen, ein junges Paar, das vermutlich einen romantischen Urlaub in den Hotels, Parks, Einkaufszentren, Märkten, Restaurants und überfüllten Straßen von Guangzhou oder anderen südchinesischen Städten verlebt hatte. Unauffällig nahmen die beiden ihre Plätze ein und machten es sich für den kurzen Flug nach Hongkong bequem. Vielleicht hatten sie ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekommen und waren erleichtert, dass sie jetzt in ein sauberes Land zurückkehrten; vielleicht erinnerten sie sich auch an die Presseberichte über SARS . Ich belästigte sie nicht mit Fragen. Sie wären mir überhaupt nicht aufgefallen, wenn nicht beide Gesichtsmasken getragen hätten.
    Ja, dachte ich, wenn es doch nur so einfach wäre.
    44 World Health Organisation (2006), S. 5
    45 Normile (2003), S. 886
    46 Peiris (2003), S. 1319
    47 Enserink (2003), S. 294
    48 Greenfeld (2006), S. 10
    49 Lee et al. (2004), S. 12
    50 Guan et al. (2003), S. 278
    51 Li et al. (2005), S. 678
    52 Weiss und McLean (2004), S. 1139

KAPITEL V Von Zecken und Zicken

KAPITEL VI Auf dem Sprung

54
    Unsichtbares Gift
    Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein waren Viren ein Mysterium wie die dunkle Materie oder der Planet X. Sie entgingen Antoni van Leeuwenhoek, der 1683 als Erster Bakterien im Mikroskop beobachtete, ebenso wie Louis Pasteur und Robert Koch – trotz ihrer ansonsten bahnbrechenden mikrobiologischen Entdeckungen 200 Jahre später. Pasteur beschäftigte sich zwar mit der Tollwut und entwickelte sogar einen Impfstoff dagegen, aber das Tollwutvirus selbst bekam er nie zu Gesicht. Ganz ähnlich William C. Gorgas, der 1902 in Kuba mit einem Programm zur Stechmückenbekämpfung das Gelbfieber ausrottete, ohne jemals zu wissen, welchen Erreger die Stechmücken in sich trugen. Er glich einem Jäger, der mit verbundenen Augen auf Enten schießt und sich dabei nur an ihrem Quaken orientiert. Selbst das Influenzavirus, an dem in den Jahren 1918 und 1919 rund um die Welt bis zu 50 Millionen Menschen starben, blieb ein gespenstisches Etwas, das man zu jener Zeit weder sehen noch identifizieren konnte. Mit optischen Mikroskopen sind Viren nicht zu erkennen, man kann sie nicht in Nährlösungen kultivieren, man kann sie – anders als Bakterien – nicht mit einem Porzellanfilter auffangen. Man kann nur auf sie schließen.
    Warum sind Viren so schwer fassbar? Die Antwort: Sie sind ungeheuer klein, einfach und gleichzeitig genial, absolut ungewöhnlich, ökonomisch und in manchen Fällen verdammt raffiniert. Selbst in der entscheidenden Frage, ob Viren lebendig sind, gehen die Meinungen der Experten auseinander. Wenn sie nicht leben, sind sie zumindest die mechanistische Abkürzung für das Prinzip des Lebendigen. Sie sind Parasiten. Sie konkurrieren untereinander. Sie greifen an und verflüchtigen sich. Sie kämpfen. Sie unterliegen den gleichen grundlegenden Zwängen wie alle Lebewesen – Überleben, Vermehren, Fortsetzen ihrer Abstammungslinie – und gehorchen ihnen mit den gleichen Strategien, die durch die natürliche Selektion geformt wurden. Sie machen eine Evolution durch. Die heutigen Viren sind nur deshalb so gut für ihr Tun geeignet, weil nur die Geeignetsten überlebt haben.
    Der Begriff »Virus« hat eine viel längere Geschichte als die Erforschung der Gebilde, die wir heute mit diesem Namen bezeichnen. Das lateinische Wort virus bedeutet »Gift«, »Pflanzensaft«, »schleimige Flüssigkeit«. Für einen

Weitere Kostenlose Bücher