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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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Etage des Hotels »Metropole«? Erbrach Professor Liu auf dem Flur, musste er niesen oder husten – oder atmete er einfach nur aus? Welche Evolution durchlief das Virus auf seinem Weg durch 8098 Menschen? Wie trug die einzigartige Esskultur Südchinas dazu bei, dass ein gefährlicher Krankheitserreger nach Hongkong und dann in die ganze Welt gelangte? Warum werden manche Menschen durch die Virusinfektion zu Superverbreitern, andere aber nicht? Welchen Zahlenwert hat R 0 für SARS ? Wann wird das Virus wieder auftauchen? Aleksei Chmura ist nur einer von vielen Wissenschaftlern, die der Akte, die solche Fragen enthält, neue Befunde hinzufügen wollen.
    In der Fachliteratur wurde seit dem Frühjahr 2003 viel über SARS geschrieben. Die meisten Artikel behandeln eng gefasste Spezialthemen, beispielsweise die Einzelheiten der molekularen Evolution, die Beziehungen zwischen Reservoirwirten oder Fragen der Epidemiologie. Einige nehmen jedoch auch einen erweiterten Blickwinkel und fragen beispielsweise: Was macht dieses Virus so ungewöhnlich? Oder: Was haben wir aus unseren Erfahrungen mit SARS gelernt? In den Artikeln der zweiten Kategorie findet sich die Aussage »die Menschen haben noch einmal Glück gehabt«. 52 Das Szenario hätte viel schlimmer aussehen können. SARS war 2003 eine kleine Epidemie, aber keine globale Pandemie. Für eine derart aggressive Infektionskrankheit sind 8000 Fälle eine relativ geringe Zahl, und gestorben sind nicht sieben Millionen Menschen, sondern nur 774. Dass Ausmaß und Auswirkungen der Epidemie relativ begrenzt blieben, lag an mehreren Faktoren; Glück war nur einer davon. Ein anderer waren das Tempo und die hervorragende Qualität der Labordiagnostik, mit der man das Virus nachwies und identifizierte; das haben wir Malik Peiris, Guan Yi, ihren Partnern in Hongkong sowie Kollegen und Konkurrenten in den Vereinigte Staaten, China und Europa zu verdanken. Wichtig war außerdem, dass man die Erkrankten so zügig und effizient isolierte, Kontaktpersonen nachverfolgte und die Quarantänemaßnahmen nicht nur in Südchina umsetzte (nachdem es zuvor ein wenig Verwirrung und Leugnung gegeben hatte), sondern auch in Hongkong, Singapur, Hanoi und Toronto. Strenge Maßnahmen zur Infektionsbekämpfung gab es auch innerhalb der Krankenhäuser, beispielsweise am Tan Tock Seng, wo sie von Brenda Ang beaufsichtigt wurden. Wäre das Virus in einer anderen Großstadt auf der Bildfläche erschienen – einer Stadt mit nachlässiger Verwaltung und vielen armen Menschen, aber ohne erstklassige medizinische Einrichtungen –, wäre es möglicherweise der Eindämmung entkommen und hätte weit mehr Opfer gefordert.
    Ein weiterer Faktor – vielleicht der entscheidende – hatte mit den Auswirkungen von SARS -CoV auf den menschlichen Organismus zu tun: Symptome treten in der Regel schon auf, bevor jemand stark ansteckend wird, und nicht erst danach. Kopfschmerzen, Fieber und Schüttelfrost, ja vielleicht sogar der Husten, gehen der umfangreichen Ausscheidung von Viren voraus. Dies galt offenbar 2003 sogar für einige Superverbreiter. Wegen dieses Ablaufs konnte man viele SARS -Fälle bereits diagnostizieren, in Krankenhäuser bringen und isolieren, bevor die Ansteckungsfähigkeit ihren Höhepunkt erreichte. Aber die Medaille hatte auch eine Kehrseite: Von der ersten großen Welle der Sekundärinfektionen waren die Krankenhausmitarbeiter betroffen; positiv war dagegen, dass solche Wellen in der Regel von Menschen ausgingen, die sich so krank fühlten, dass sie nicht mehr mit dem Bus oder der U-Bahn zur Arbeit fuhren. Das war für die SARS -Episode ein ungeheuer folgenschwerer Faktor, der nicht nur Glück, sondern sogar die Rettung bedeutete. Die echte Grippe und viele andere Krankheiten laufen in der umgekehrten Reihenfolge ab: Die höchste Ansteckungsgefahr geht den Symptomen um einige Tage voraus. Dies war vermutlich ein Grund, warum die Grippeepidemie von 1918/19 auf der ganzen Welt so viele (Todes-)Opfer verursachte: Die Ansteckungsgefahr war am größten, noch ehe die Betroffenen das am leichtesten erkennbare, schlimmste Krankheitsstadium erreichten. Der Erreger wanderte schneller als der Alarm. Und dabei muss man bedenken, dass sich jene berüchtigte globale Pandemie in der Zeit vor der Globalisierung abspielte. Heute wandert alles, auch Viren, noch viel schneller um den Globus. Hätte die perverse Gesetzmäßigkeit der präsymptomatischen Ansteckung auch für SARS gegolten, die Krankheit wäre im Jahr

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