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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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Krankheitserreger wurde es im Englischen, soweit man weiß, erstmals 1728 gebraucht. Bis ins 20. Jahrhundert hinein gab es aber keine klare Trennung zwischen dem unbestimmten Begriff »Virus«, der jeden ansteckenden Mikroorganismus bezeichnen konnte, und einem Vertreter der genau definierten biologischen Gruppe, die wir heute »Viren« nennen. Noch 1940 sprach sogar Macfarlane Burnet vom Erreger des Q-Fiebers manchmal umgangssprachlich als »Virus«, obwohl er zu jener Zeit ganz genau wusste, dass es sich um ein Bakterium handelte.
    Die Wirkungen der Viren sind schon viel länger bekannt als die Viren selbst. Mit Pocken, Tollwut und Masern hatte man auf der klinischen Ebene seit Jahrhunderten und Jahrtausenden leidvolle Erfahrung, nur ihre Ursache kannte man nicht. Für akute Erkrankungen und Epidemien gab es fantasievolle Erklärungsversuche: Sie sollten durch Miasmendämpfe und Ausdünstungen (»Effluvia«) verursacht werden, durch verwesende Materie und Schmutz, durch Armut, durch göttliche Launen, durch bösen Zauber, durch kalte Luft oder nasse Füße. Erst nach und nach setzte sich die Erkenntnis durch, dass ansteckende Mikroorganismen die Ursache sind.
    Um 1840 hatte der deutsche Anatom Jakob Henle den Verdacht, dass es schädliche Teilchen – Lebewesen oder Dinge – gibt, die so klein sind, dass man sie selbst mit einem Lichtmikroskop nicht sehen kann, und die dennoch bestimmte Krankheiten übertragen. Henle hatte keine Belege dafür, und deshalb setzte sich seine Vermutung nicht sofort durch. Der dänische Arzt Peter Panum wurde 1846 auf den Faröern, einer abgelegenen Inselgruppe nördlich von Schottland, Zeuge einer Masernepidemie und zog daraus scharfsinnige Schlüsse zur Übertragung der Krankheit von Mensch zu Mensch, wobei zwischen dem Kontakt und den ersten Symptomen ein Zeitraum (heute sprechen wir von Inkubationszeit) von zwei Wochen lag. Robert Koch, der in Göttingen bei Jakob Henle studiert hatte, ging in den 1870er und 1880er Jahren mit seinen experimentellen Arbeiten über Beobachtungen und Vermutungen hinaus: Er identifizierte die Mikroorganismen, die Milzbrand, Tuberkulose und Cholera verursachen. Kochs Entdeckungen legten gegen Ende des 19. Jahrhunderts zusammen mit denen von Louis Pasteur, Joseph Lister, William Roberts, John Burdon Sanderson und anderen die empirische Grundlage für eine Fülle neuer Ideen, die unter dem Sammelbegriff »Keimtheorie« zusammengefasst wurden. Sie bedeuteten die Abkehr von Vorstellungen wie schlechte Dämpfe, übertragbare Gifte, aus dem Gleichgewicht geratene Körpersäfte, ansteckende Fäulnis und Zauberei. Aber bei den Keimen, mit denen Koch, Pasteur und Lister sich vorrangig beschäftigten, handelte es sich (abgesehen von Pasteurs scharfsinnigen Vermutungen über die Tollwut) um Bakterien. Und Bakterien waren nicht ganz so flüchtig. Man konnte sie mit einem normalen Mikroskop sehen. Man konnte sie in einer Petrischale (einer Erfindung von Kochs Assistenten Julius Petri) auf einem mit Agar-Agar verfestigten Nährmedium züchten. Sie waren größer und leichter zu fassen als Viren.
    Die nächste entscheidende Erkenntnis stammte nicht aus der Medizin, sondern aus der Landwirtschaft. Anfang der 1890er Jahre beschäftigte sich der russische Wissenschaftler Dmitri Iwanowski in Sankt Petersburg mit der Tabakmosaikkrankheit, die auf den Plantagen im Zarenreich zum Problem wurde. Pflanzen mit dem Flecken»mosaik« auf den Blättern kümmerten und wurden welk, damit sank die Produktivität, was die Tabakbauern viel Geld kostete. In früheren Untersuchungen hatte sich bereits gezeigt, dass die Krankheit ansteckend war – im Experiment konnte man sie von einer Pflanze zur anderen übertragen, indem man den Saft infizierter Blätter aufbrachte. Iwanowski wiederholte das Übertragungsexperiment, erweiterte es aber um einen entscheidenden Schritt. Er ließ den Pflanzensaft durch ein Chamberland-Filter laufen, ein Porzellanfilter mit winzigen Poren, das dazu diente, Wasser von Bakterien zu reinigen. Iwanowskis Bericht, wonach »der Saft von Blättern, die von der Mosaikkrankheit angegriffen sind, auch dann seine infektiösen Eigenschaften behält, wenn man ihn durch Chamberland-Filterkerzen filtriert«, 97 enthielt die erste pragmatische Definition von Viren: Sie sind infektiös, aber »filtrierbar«, das heißt, sie sind so klein, dass sie auch da durchkommen, wo Bakterien zurückgehalten werden. Wenig später gelangte der niederländische Wissenschaftler Martinus

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