Spillover
die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von Affen auf Menschen ist offenbar extrem gering. Diesen Schluss legen jedenfalls die Forschungsergebnisse aus dem Affenwald von Sangeh in Bali nahe. Wenn in Bali gelegentlich Krankheitsfälle vorkommen sollten, entgehen sie offenbar der Aufmerksamkeit der Mediziner, oder sie werden fälschlich für eine andere bedrohliche Krankheit gehalten, beispielsweise für Kinderlähmung oder Tollwut, die auf der Insel wegen ihres häufigen Vorkommens bei Hunden ein ernstes Problem darstellt.
Daten, die fast ein Jahrzehnt zuvor von einer anderen Arbeitsgruppe veröffentlicht wurden, verstärken ebenfalls den Eindruck, dass Herpes B nicht ohne weiteres auf Menschen überspringt. Im Rahmen dieser Studie wurden Blutproben von 321 Labormitarbeitern untersucht – von Wissenschaftlern und Assistenten, die mit lebenden Primaten oder Kulturen von Primatenzellen umgingen. Die meisten der Untersuchten arbeiteten mit Makaken. Viele von ihnen waren bereits gebissen, gekratzt oder mit Körperflüssigkeiten bespritzt worden. Dennoch ergab sich bei keiner der 321 untersuchten Personen ein Hinweis auf einen Kontakt mit Herpes B. Das Virus ist also offensichtlich nicht leicht übertragbar, und offensichtlich verursacht es bei Personen, die engen Kontakt mit Affen haben, keine leichten, symptomlosen Infektionen. Es scheint nur »ganz oder gar nicht« zu kennen.
In den Annalen der Medizin sind lediglich 43 Krankheitsfälle verzeichnet; es begann mit William Brebner, der sich durch den Kontakt mit einem Makaken angesteckt hatte. Die 43 Infektionen hatten tatsächlich häufig schreckliche Folgen. In dem gleichen Zeitraum spielten sich – im Labor, in freier Wildbahn, von Affentempeln bis zu Petrischalen, durch Kratzen oder Beißen, Speichel oder Unfälle mit Kanülen oder verspritztem Urin – Abertausende oder Millionen solcher Kontakte ab, ohne dass Herpes B den Sprung vom Affen zum Menschen vollzogen hätte. Warum nicht? Offensichtlich ist das Virus nicht dazu bereit.
Man könnte auch sagen: Die Ökologie eröffnete Gelegenheiten, aber die Evolution hat sie nicht ergriffen. Vielleicht wird sie es nie tun.
61
Schaum
Das Blut, das wir den gefangenen Makaken von Chashnipeer Majar entnommen hatten, wurde noch auf ein anderes Virus untersucht. Auf diesen Erreger konzentrierte sich seit Kurzem das Interesse von Lisa Jones-Engel und ihrem Team. Wegen seines fürchterlichen Namens ist es auch einer meiner Lieblinge: Affen-Foamy-Virus ( simian foamy virus , SFV ). Anders als das Wort foamy (»schaumig«) vermuten lässt, haben die infizierten Organismen keinen Schaum vor dem Mund. Die Bezeichnung geht vielmehr darauf zurück, dass das Virus die Zellen des Wirtes veranlasst, miteinander zu verschmelzen; dabei entstehen funktionsunfähige Riesenzellen, die unter dem Mikroskop wie Schaumblasen aussehen.
Eigentlich gibt es eine ganze Gruppe von Foamyviren, die alle zur Gattung Spumavirus gerechnet werden. Manche von ihnen infizieren Kühe, Katzen und Pferde, man findet sie aber auch bei Gorillas, Schimpansen, Orang-Utans, Pavianen, Makaken und anderen Primaten. Bei allen sind sie offenbar schon seit sehr alter Zeit verbreitet: Bis zu 30 Millionen Jahre lang haben sie ihre Evolution parallel zu ihren Wirten durchlaufen, so dass es heute für jede Affenart eine Art von Affen-Foamy-Viren ( SFV ) gibt. Vielleicht ist das der Grund, warum sie heute harmlos zu sein scheinen. Eine Arbeitsgruppe berichtete aus Zentralafrika über Befunde, wonach SFV von Primaten (Mandrills, Gorillas und Meerkatzen), die man wegen ihres Fleisches gejagt hatte, auf die Jäger übertragen wurden. Ob SFV die Menschen krank macht, ist eine andere Frage, die im Rahmen dieser Studie nicht untersucht wurde. Wenn es der Fall ist, treten die Wirkungen offenbar langsam und mehr oder weniger unbemerkt ein. Aber auch die HI -Viren wirken langsam und anfangs unbemerkt. Und SFV ist wie die HIV s ein Retrovirus. Jones-Engel ist nicht als Einzige in der wissenschaftlichen Welt der Ansicht, dass man das Affen-Foamy-Virus genauer unter die Lupe nehmen sollte.
Vor dreißig Jahren herrschte in der Wissenschaft die Vorstellung, wir Menschen hätten unser eigenes Foamy-Virus, unsere endemische Version, und diese sei anders als die zoonotischen Erreger, die wir vielleicht aufnehmen, wenn wir heilige Affen mit Reis füttern oder einen Gorilla mit der Machete erlegen. Das menschliche Foamy-Virus wirkt in Zellkulturen zerstörerisch, ist aber für lebende
Weitere Kostenlose Bücher