Spillover
gelangt in den Mund, vermehrt sich in Magen oder Darm, verursacht Verdauungsstörungen, breitet sich auf andere Körperteile aus oder nicht und kommt mit wässrigem Durchfall wieder ins Freie. Für solche Viren gehört Durchfall zu einer leistungsfähigen Verbreitungsstrategie, und häufig sind sie in der Umwelt recht widerstandsfähig: Sie müssen unter Umständen einen oder zwei Tage in einem verunreinigten Gewässer überleben, bevor ein verzweifelter Mensch daraus trinkt. Es gibt eine ganze Gruppe solcher sogenannter Enteroviren, darunter Polio und ungefähr siebzig andere, die uns über den Darm angreifen. Die meisten Enteroviren sind keine Zoonosen, sondern infizieren ausschließlich Menschen. Offensichtlich brauchen sie kein anderes Tier als Wirt, um sich in einer von Menschen übervölkerten Welt zu behaupten.
Komplizierter ist die Übertragung für Viren, die nur mit dem Blut weitergegeben werden. Sie sind meist auf einen Dritten angewiesen, den Vektor. Das Virus muss sich im Blut des Wirtes stark vermehren und eine schwere Virämie (das heißt einen Überfluss an Virionen) erzeugen. Der Vektor (ein Blut saugendes Insekt oder ein anderer Gliederfüßer) muss sich eine Mahlzeit suchen, den Wirt stechen, mit dem Blut die Viren aufnehmen und sie dann wegbringen. Dabei muss der Vektor selbst ebenfalls ein geeigneter Wirt sein, in dem sich das Virus weiter vermehrt und in dem die neuen Virionen anschließend den Weg zu den Mundwerkzeugen finden. Von dort werden die Virionen vom Vektor mit einem Schuss gerinnungshemmenden Speichel in den nächsten Wirt, den er sticht, abgeben. Auf diese Weise verbreiten sich das Gelbfieber-, das West-Nil- und das Denguefieber-Virus.
Die Verbreitung über einen Vektor hat den Nachteil, dass das Virus sich an zwei ganz unterschiedliche Umgebungen anpassen muss: einerseits an das Blut eines Wirbeltiers, andererseits an den Verdauungstrakt eines Gliederfüßers. Was in dem einen gut funktioniert, klappt im anderen möglicherweise überhaupt nicht, also muss das Virus genetisch auf beide vorbereitet sein. Vorteilhaft ist aber, dass das Virus mit dem Vektor ein Vehikel hat, das ihn über eine gewisse Entfernung transportiert und das von sich aus nach neuen Wirtsorganismen sucht. Nach einem Nieser wandern die Viren mehr oder weniger zufällig mit dem Wind, aber eine Stechmücke kann auch gegen den Wind zu einem Opfer fliegen. Deshalb sind Vektoren sehr leistungsfähige Übertragungsmittel.
Viren, die mit dem Blut übertragen werden, können zudem über Kanülen und Transfusionen auf neue Wirtsorganismen übergehen. Dabei handelt es aber lediglich um eine – der modernen Medizintechnik geschuldete – Erweiterung der uralten, von der Evolution gestalteten viralen Strategie. Ebola und HIV -1, zwei ganz unterschiedliche Viren mit unterschiedlichen Anpassungsstrategien, werden zufällig beide leicht durch Kanülen übertragen. Das Gleiche gilt für das Hepatitis-C-Virus.
Ebola wird auch in intimen Situationen durch Blutkontakt von Mensch zu Mensch übertragen, beispielsweise wenn eine Person eine andere pflegt. Wenn eine Krankenschwester in einer Klinik im Kongo kleine Risse an den spröden Händen hat und dann den blutigen Durchfall eines Kranken vom Fußboden aufwischt, reicht das unter Umständen für eine Infektion. Aus Sicht des Virus ist dies aber ein ungewöhnlicher Vorgang. In der Regel gelangt Ebola über ein Wirtstier, dessen Identität man bis heute nicht kennt und das als Reservoir dient, von einem Menschen zum anderen. Mit dieser normalen Übertragung kann das Virus sich selbst erhalten. Außergewöhnliche Übertragungswege ermöglichen ihm eine besonders starke Vermehrung und verleihen ihm einen üblen Ruf, es gelangt damit aber bald in eine Sackgasse. Die Übertragung durch blutige Verbände oder mehrmals verwendete Kanülen in dieser oder jener afrikanischen Klinik ist keine Strategie, die Ebola auf lange Sicht nützt. Sie ist nur eine vorübergehende Anomalie, die (jedenfalls bisher) für die umfassendere Evolutionsgeschichte des Erregers kaum eine Bedeutung hat. Aber das kann sich natürlich ändern.
Der normale Übertragungsweg von Ebola muss nicht über Blut verlaufen. Wenn sich das Virus in zentralafrikanischen Wäldern in Flughunden aufhält (was man vermutet, aber bisher nicht beweisen kann), könnte es zwischen den Fledertieren auch durch sexuelle Kontakte, Säugen der Jungtiere, gegenseitige Fellpflege der ausgewachsenen Tiere, über die Atemluft, Bisse,
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