Spillover
manchmal ergreift man Vorsichtsmaßnahmen. Bei einem Bauern aus Kambodscha brach vor einigen Jahren die Krankheit aus, nachdem er von einem tollwütigen Hund gebissen worden war. Im Endstadium der Krankheit litt der Mann an Halluzinationen, Krampfanfällen und Schlimmerem. »Er hat gebellt wie ein Hund«, berichtete seine Frau später. »Wir haben ihm Ketten angelegt und ihn eingeschlossen.« 110
Wie das Tollwutvirus, so bringt auch HIV -1 seinen Wirt offenbar nahezu immer um. Zumindest tat es das in den düsteren Jahrzehnten, bevor eine virushemmende Kombinationstherapie zur Verfügung stand, und vermutlich geschieht es auch heute noch (das wird die Zukunft zeigen). Die Sterblichkeit ist in manchen Gruppen von HIV -Positiven (vor allem bei denjenigen, die Zugang zu den teuren Medikamentencocktails haben) zurückgegangen, aber das heißt nicht, dass das Virus selbst an Schlagkraft verloren hätte. Die HIV s sind von Natur aus sehr langsam wirkende Erreger, weshalb man sie in die Gattung Lentivirus (lateinisch lentus, langsam) einordnet, zu der auch andere langsame Erreger wie das Visna-Virus, das Katzen-Immunschwächevirus und der Erreger der Equinen Infektiösen Anämie ( EIA ) gehören. HIV -1 kreist unter Umständen zehn Jahre oder länger im Blut eines Menschen, vermehrt sich ganz allmählich und entgeht den Abwehrmechanismen des Organismus; seine Konzentration schwankt, aber nach und nach schädigt es die Zellen, die für die Immunfunktionen verantwortlich sind; am Ende steht die eigentliche AIDS -Erkrankung mit ihren tödlichen Folgen. In der ersten Phase hat das Virus viel Zeit und viele Gelegenheiten, sich von Mensch zu Mensch zu verbreiten; besonders gut sind die Aussichten für eine Übertragung im Frühstadium der Infektion, wenn die Zahl der Viren im Blut zunimmt, bevor sie wieder zurückgeht. Mehr darüber später, wenn wir uns mit der Frage befassen, wie die HIV s auf Menschen übergesprungen sind. Hier ist erst einmal entscheidend, dass die Evolution die menschlichen Immunschwächeviren wahrscheinlich zu verschiedenen Veränderungen, Anpassungen und neuen Vorlieben gezwungen hat, aber dazu muss nicht unbedingt eine Verringerung der tödlichen Wirkung gehören.
Ein Lehrbuchbeispiel für die Abnahme der Virulenz ist die Geschichte des Myxomatosevirus bei australischen Kaninchen. Die Myxomatose ist keine Zoonose, sie half jedoch, besser zu verstehen, wie sich die Virulenz im Laufe der Evolution anpassen kann.
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Wie die Karnickel
Die Geschichte beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts: Damals kam ein weißer Landbesitzer namens Thomas Austin auf die grandiose Idee, europäische Wildkaninchen nach Australien zu bringen. Austin war ein glühender Verfechter der »Akklimatisation«, 111 das heißt, er führte absichtlich Tiere und Pflanzen aus anderen Ländern ein und hatte die Australier bereits mit Sperlingen beglückt. Im Jahr 1859 erhielt er aus England eine Sendung mit 24 Kaninchen. Austin war nicht der Erste, der Kaninchen nach Australien brachte, aber als Erster hatte er sich für Wildkaninchen entschieden und nicht für die braven Zuchtvarianten der Spezies Oryctolagus cuniculus , die schon seit Langem domestiziert waren. Er setzte die Nager auf seinem Anwesen in Victoria aus, dem südlichsten Bundesstaat des australischen Festlandes. Wie sich zeigte, waren die importierten Tiere – aller Probleme ihrer früheren Heimat ledig – durchaus in der Lage, in der australischen Wildnis zu überleben. Und nicht nur das: Sie behielten ihre von Natur aus hohe (sprichwörtliche) Fortpflanzungsrate bei, das heißt, sie vermehrten sich massenhaft. Wenn Austin sie ins Land gebracht hatte, weil es ihm Spaß machte, sie zu erschießen oder mit Hunden zu jagen, bekam er mehr, als ihm lieb war. Nach nur sechs Jahren waren auf seinem Anwesen bereits 20000 Kaninchen erlegt worden, und eine unbekannte Zahl war in alle Himmelsrichtungen davongehoppelt.
Bereits 1880 hatten sie den Murray River überquert und waren in New South Wales eingewandert; nun breiteten sie sich weiter nach Norden und nach Westen aus. Die Kaninchenfront rückte jedes Jahr um ungefähr 110 Kilometer vor, ein beträchtliches Tempo angesichts der Tatsache, dass die Tiere gelegentlich Pausen einlegen mussten, um ihre Jungen zur Welt zu bringen und großzuziehen. Jahrzehnte vergingen, und die Lage wurde immer schlimmer. 1950 gab es in Australien etwa 600 Millionen Kaninchen, die mit den einheimischen Wild- und Haustieren um Wasser und Futter
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