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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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irgendein Krieg am anderen Ende der Welt, wo die Leute alle unaussprechliche Namen haben.«
    »Molly…«
    »Ist mir schon klar, dass wir alle irgendwie verkorkst sind, Tyler, hineingeworfen in dieses Leben mit dem Spin. Kein Wunder. Prätraumatische Belastungsstörung, oder wie habt ihr das noch mal genannt? Die Generation der Grotesken. Deswegen sind wir alle geschieden oder promisk oder hyperreligiös oder depressiv oder manisch oder leidenschaftslos. Wir alle haben eine wirklich gute Entschuldigung für unser schlechtes Benehmen, ich eingeschlossen, und wenn es diese unerschütterliche Säule kalkulierter Hilfsbereitschaft ist, die du darstellen musst, damit du über die Runden kommst, dann ist das okay, dann verstehe ich das. Aber es ist genauso okay, wenn ich mehr möchte. Nein, es ist nicht nur okay, sondern es ist sogar ein ganz natürliches Bedürfnis, wenn ich dich berühren möchte. Nicht nur mit dir vögeln. Dich berühren.« Als sie merkte, dass sie fertig war, faltete sie die Arme wieder auseinander, sah mich an, wartete auf eine Reaktion.
    In Gedanken entwarf ich eine Antwortrede. Ich empfände durchaus leidenschaftlich für sie. Es mochte nicht so offensichtlich gewesen sein, aber ich hätte sie von Anfang an, seit ich zu Perihelion gekommen sei, sehr bewusst wahrgenommen. Die Konturen und Bewegungen ihres Körpers, die Art, wie sie stand oder ging, sich streckte oder gähnte, ihre pastellfarbene Kleidung und den Schmetterling, den sie an einer dünnen silbernen Kette trug. Sehr wohl hätte ich all das wahrgenommen, ihre Stimmungen und Launen und den ganzen Katalog ihres Lächelns, ihres Stirnrunzelns, ihrer Gesten. Wenn ich meine Augen schlösse, sähe ich ihr Gesicht, wenn ich schlafen ginge, sei es das, was ich vor Augen hätte. Ich liebte ihre Oberfläche und ihre Substanz: den Salzgeschmack ihres Halses und die Modulationen ihrer Stimme, die Kurven ihrer Finger und die Worte, die diese auf meinen Körper schrieben… Ich dachte an all das und brachte es doch nicht über mich, es ihr zu sagen. Nicht, dass es unbedingt gelogen gewesen wäre. Aber es war auch nicht unbedingt die Wahrheit.
    Am Ende versöhnten wir uns mit unverbindlicheren Nettigkeiten, mit zwei, drei Tränen und beschwichtigenden Umarmungen, wir ließen das Thema fallen und ich spielte den Hilfskoch, während sie eine sehr gute Pastasoße zusammenbraute. Die Spannung löste sich langsam, und als es Mitternacht war, hatten wir schon eine Stunde zu den Spätnachrichten gekuschelt (steigende Arbeitslosenzahlen, eine Wahlkampfdebatte, irgendein Krieg am anderen Ende der Welt) und waren bereit fürs Bett. Molly machte das Licht aus, bevor wir uns liebten, und das Schlafzimmer war dunkel, das Fenster offen und der Himmel vollständig leer. Sie krümmte den Rücken, als sie kam, und ihr Atem war süß und milchig. Nicht mehr vereinigt, aber noch Arm in Arm, die Hand auf dem Schenkel des anderen, redeten wir in unvollständigen Sätzen. Ich sagte: »Leidenschaft, weißt du«, und sie sagte: »Im Schlafzimmer. Gott, ja.«
    Sie schlief schnell ein. Ich war nach einer Stunde immer noch wach.
    Ich stieg sachte aus dem Bett, registrierte keine Veränderung in ihrer Atmung. Ich zog eine Jeans über und schlich aus dem Zimmer. In schlaflosen Nächten wie dieser half normalerweise ein Gläschen Drambuie, um die nagenden inneren Monologe abzuschalten, die beim müden Vorderhirn vom Zweifel eingereichten Petitionen. Diesmal jedoch setzte ich mich an meinen Computer und rief den Haushaltorganisator auf.
    Es war nicht zu erkennen, was sich Molly angesehen hatte; soweit ich feststellen konnte, war nichts verändert. Alle Namen und Zahlen schienen unberührt. Vielleicht hatte sie hier irgendetwas gefunden, was ihr ein Gefühl größerer Nähe zu mir vermittelte. Falls es wirklich das war, was sie wollte.
    Vielleicht war es aber auch eine ergebnislose Suche gewesen. Vielleicht hatte sie nicht das Geringste gefunden.
     
    In den Wochen vor den Novemberwahlen sah ich Jason häufiger. Trotz der gesteigerten Medikation wurde seine Krankheit aktiver, was möglicherweise auf den Stress zurückzuführen war, den ihm der fortgesetzte Konflikt mit seinem Vater bereitete. (E. D. hatte angekündigt, er wolle sich Perihelion »zurückholen« – die Firma befinde sich in den Klauen einer Clique von Emporkömmlingen aus Bürokratie und Wissenschaft, die mit Wun Ngo Wen gemeinsame Sache machten. Eine leere Drohung Jasons Auffassung nach, aber potenziell Unruhe

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