Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spin

Spin

Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
stand, lediglich Aufschübe, Gnadenfristen bewerkstelligt. Es war nichts gewiss.
    Schritte, Stiefel auf Metall. Der Polizist kletterte in den Krankenwagen. Das Fahrzeug schaukelte auf seinen Stoßdämpfern wie ein Schiff bei leichtem Seegang. Ich stützte mich gegen die Schrankabdeckung. Ina stand auf, erhob schrille Einwände.
    Ich holte Luft und machte mich sprungbereit.
    Plötzlich kam neuer Lärm von der Straße her. Ein anderes Fahrzeug fuhr dröhnend an uns vorbei. Dem Aufheulen seines gequälten Motors nach zu urteilen, war es mit hoher Geschwindigkeit unterwegs – mit provozierender Scheiß-auf-die-Polizei- Geschwindigkeit.
    Der Polizist stieß einen empörten Fluch aus. Der Krankenwagen geriet erneut ins Schaukeln.
    Eilige Schritte, kurze Stille, das Zuknallen einer Tür und dann der Motor des Streifenwagens (so meine Vermutung), auf Hochtouren gebracht, knirschende Autoreifen, wütendes Kiesgestöber.
    Ina hob den Deckel meines Sarkophages.
    Im Gestank meines Schweißes setzte ich mich auf. »Was ist passiert?«
    »Das war Aji. Aus unserem Dorf. Ein Vetter von mir. Hat die Straßensperre durchbrochen, um die Polizei abzulenken.« Sie war blass, aber erleichtert. »Er fährt wie ein Betrunkener.«
    »Er hat das getan, um uns zu helfen?«
    »Ja. Wir sind schließlich ein Konvoi. Andere Autos, Funktelefone, er wird gewusst haben, dass wir angehalten wurden. Er riskiert eine Geldstrafe oder eine Verwarnung, nichts Ernsteres.«
    Ich atmete die Luft ein, die lieblich und kühl war, und sah En an. Er schenkte mir ein wackliges Lächeln.
    »Bitte, stellen Sie mich Aji vor, wenn wir nach Padang kommen«, sagte ich. »Ich möchte ihm dafür danken, dass er den Betrunkenen gespielt hat.«
    Ina verdrehte die Augen. »Unseligerweise hat Aji nicht gespielt – er ist betrunken. Ein ernstes Vergehen in den Augen des Propheten.«
    Nijon blickte zu uns hinein, zwinkerte, schloss die Türen.
    Ina legte eine Hand auf meinen Arm. »Nun, das war beängstigend.«
    Ich entschuldigte mich dafür, dass ich sie das Risiko hatte auf sich nehmen lassen.
    »Unsinn«, erwiderte sie. »Wir sind jetzt Freunde. Und das Risiko ist nicht so groß, wie Sie denken. Die Polizei kann schwierig sein, aber zumindest sind es Leute von hier, an gewisse Regeln gebunden – nicht wie die Männer aus Jakarta, die New Reformasi oder wie sie sich nennen, die Männer, die meine Klinik niedergebrannt haben. Und ich vermute, Sie würden, falls nötig, auch für uns Risiken eingehen. Nicht wahr, Pak Tyler?«
    »Ja, das würde ich.«
    Ihre Hand zitterte. Sie sah mir in die Augen. »Ich glaube Ihnen.«
    Nein, wir hatten den Tod keineswegs bezwungen, nur Aufschübe erreicht – die Pille, das Pulver, die Gefäßplastik, das Vierte Alter –, hatten unserer unbeirrbaren Überzeugung gemäß gehandelt, wonach mehr Leben, und sei es nur ein klein bisschen mehr, vielleicht doch noch die Freuden oder die Weisheit abwerfen würde, die wir uns wünschten oder im bisherigen Leben vermisst hatten. Niemand, der sich einer dreifachen Bypass-OP oder einer Langlebigkeitsbehandlung unterzog, erwartete, dass er ewig leben würde. Sogar Lazarus stieg aus seinem Grab in dem Wissen, dass er ein zweites Mal sterben würde.
    Aber er kam heraus. Er kam heraus und war dankbar. Auch ich war dankbar.

 
DIE KALTEN ORTE DES UNIVERSUMS
----
     
     
    Nach einer späten Sitzung bei Perihelion fuhr ich freitagabends nach Hause, schloss die Wohnungstür auf und sah Molly an meinem Computer sitzen.
    Der Schreibtisch im Wohnzimmer stand vor einem Fenster, von der Tür abgewandt. Molly drehte sich halb um und warf mir einen erschrockenen Blick zu. Gleichzeitig klickte sie auf ein Symbol und schloss das laufende Programm.
    »Molly?«
    Ich war nicht überrascht, sie hier anzutreffen. Sie verbrachte die meisten Wochenenden bei mir und besaß einen Zweitschlüssel. Aber bislang hatte sie nie ein Interesse an meinem PC gezeigt.
    »Du hast nicht angerufen«, sagte sie.
    Ich hatte eine Besprechung mit Vertretern jener Versicherung gehabt, die den Schutz der Perihelion-Angestellten garantierte. Man hatte mir gesagt, ich solle mich auf eine zweistündige Sitzung einrichten, doch dann stellte sich heraus, dass es nur um ein paar Neuerungen im Rechnungsverfahren ging, und als dies nach zwanzig Minuten erledigt war, fand ich, es wäre unkomplizierter, einfach gleich nach Hause zu fahren – vielleicht würde ich sogar noch vor Molly ankommen, falls sie irgendwo angehalten hatte, um Wein zu besorgen.

Weitere Kostenlose Bücher