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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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Golubjew wurde sofort getötet, Walentina Kirchoff erlitt eine schwere Kopfverletzung und starb nach wenigen Stunden. Der benommene Oberst Glawin, der lediglich ein gebrochenes Handgelenk und geringfügige Abschürfungen zu beklagen hatte, schaffte es, das Raumfahrzeug zu verlassen und wurde schließlich von einer deutschen Rettungsmannschaft aufgefunden und den Russen übergeben.
    Nach wiederholten Befragungen kam man zu dem Schluss, dass Glawin in der Folge seines Martyriums den Verstand verloren hatte. Der Oberst erklärte beharrlich, dass er mit seiner Crew drei Wochen in der Umlaufbahn verbracht hätte, aber das war ganz offensichtlich Irrsinn. Denn die Sojus-Kapsel war, wie das ganze andere künstliche Weltrauminventar, noch in der Nacht des Oktober-Ereignisses auf die Erde zurückgestürzt.
     
    Zu Mittag aßen wir im Food Court in der Mall, wo Diane drei Mädchen entdeckte, die sie aus der Academy kannte. Sie waren schon etwas älter, unfassbar kultiviert und mondän in meinen Augen, mit blau oder rosa getönten Haaren, die teuren Schlaghosen ganz tief auf der Hüfte sitzend, um die blassen Hälse Kettchen mit winzigem Goldkreuz. Diane zerknüllte ihre Taco-Verpackung und ging zu ihrem Tisch rüber. Kurz darauf steckten sie alle vier die Köpfe zusammen und lachten. Plötzlich sahen mein Burrito und die Pommes ziemlich unappetitlich aus.
    Jason wertete aus, was er in meinem Gesicht sah. »Weißt du«, sagte er sanft, »das ist halt unvermeidlich.«
    »Was ist unvermeidlich?«
    »Sie lebt nicht mehr in unserer Welt. Du, ich, Diane, das Große Haus und das Kleine Haus. Samstags in die Mall, sonntags ins Kino. Das hat funktioniert, solange wir Kinder waren. Aber wir sind keine Kinder mehr.«
    Waren wir das nicht mehr? Nein, natürlich nicht – aber hatte ich mir auch überlegt, was das bedeutete oder bedeuten konnte?
    »Sie hat jetzt schon seit einem Jahr ihre Periode«, fügte Jason noch hinzu.
    Ich erbleichte. Das war mehr, als ich wissen musste. Und dennoch: ich war eifersüchtig, dass er es wusste und ich nicht. Sie hatte mir nichts von ihrer Periode oder ihren Freundinnen von der Rice Academy erzählt. All die Vertraulichkeiten, die sie mir am Telefon mitgeteilt hatte, waren, das begriff ich plötzlich, Kinderkram: Geschichten über Jason und ihre Eltern und darüber, was sie beim Abendessen nicht gemocht hatte. Hier war der Beweis, dass sie ebenso viel verborgen wie mitgeteilt hatte; hier manifestierte sich eine Diane, die ich nie kennen gelernt hatte.
    »Wir sollten wieder nach Hause fahren«, sagte ich zu Jason.
    Er warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Wenn du möchtest.« Er stand auf.
    »Sagst du Diane Bescheid, dass wir gehen?«
    »Ich glaube, sie ist beschäftigt, Tyler. Könnte mir vorstellen, dass sie noch etwas vorhat.«
    »Aber sie muss mit uns zurückfahren.«
    »Nein, das muss sie nicht.«
    Ich war empört. Sie konnte uns nicht einfach fallen lassen, das war ihrer nicht würdig. Ich erhob mich und ging hinüber. Diane und ihre drei Freundinnen schenkten mir ihre volle Aufmerksamkeit. Ich wandte mich direkt an Diane, ignorierte die anderen. »Wir fahren nach Hause.«
    Die drei Rice-Mädchen lachten lauthals los. Diane lächelte nur peinlich berührt und sagte: »Okay, Ty. Klasse. Wir sehen uns dann später.«
    »Aber…«
    Aber was? Sie sah mich schon nicht mal mehr an.
    Als ich wegging, hörte ich, wie eines der Mädchen Diane fragte, ob ich »noch ein anderer Bruder« sei. Nein, erwiderte sie. Nur ein Junge, den sie kenne.
     
    Jason, der ein etwas unangenehmes Mitgefühl an den Tag legte, bot mir an, auf der Rückfahrt die Räder zu tauschen. Sein Fahrrad interessierte mich zwar momentan herzlich wenig, aber ich dachte, dass so ein Fahrradtausch vielleicht eine ganz gute Möglichkeit wäre, meine Gefühle zu verbergen.
    Also kämpften wir uns wieder hinauf zum höchsten Punkt der Bantam Hill Road, von wo sich der Asphalt wie ein schwarzes Band nach unten bis zu den von Bäumen beschatteten Straßen erstreckte. Das Mittagessen fühlte sich an wie ein unter meinen Rippen eingegrabener Schlackenstein. Ich nahm die steile Neigung der Straße sorgsam in Augenschein.
    »Lass einfach rollen«, sagte Jason. »Nur zu. Du musst dich reinfallen lassen.«
    Würde die Geschwindigkeit mich ablenken? Konnte mich irgendetwas ablenken? Ich hasste mich dafür, dass ich mir erlaubt hatte zu glauben, ich stünde im Mittelpunkt von Dianes Welt.
    Wo ich doch nur ein Junge war, den sie kannte… Aber es war

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