Spin
Seine Stirn und die Nase waren aufgeschürft und bluteten heftig. Auch ein Knöchel war aufgerissen. Seine Augen tränten vom Schmerz. »Tyler«, sagte er. »Oh, uh, uh… tut mir Leid, das mit deinem Rad, ey.«
Ich will diesen Vorfall nicht überbewerten, aber ich musste doch so manches Mal daran denken in den folgenden Jahren - Jasons Maschine und Jasons Körper, aneinander gekettet in riskanter Beschleunigung, und sein unbeirrbarer Glaube daran, dass er die Situation bewältigen könne, ganz allein, solange er sich nur entschlossen genug bemühte, solange er nur nicht die Kontrolle verlor.
Wir ließen das völlig zerstörte Fahrrad im Rinnstein liegen, und ich schob Jasons Luxusgerät für ihn nach Hause. Er trottete neben mir her. Er hatte offensichtlich Schmerzen, versuchte es sich aber nicht anmerken zu lassen. Die rechte Hand hielt er vor die blutende Stirn, so als brumme ihm der Kopf, was er vermutlich auch tat.
Als wir uns dem Großen Haus näherten, sprangen Jasons Eltern beide die Verandatreppe herunter und kamen uns in der Auffahrt entgegen. E. D. Lawton, der uns von seinem Arbeitszimmer aus beobachtet haben musste, sah wütend und besorgt aus; er schürzte den Mund und runzelte die Stirn, dass die Brauen sich über die blitzenden Augen wölbten. Jasons Mutter, ein Stück dahinter, war distanzierter, weniger interessiert, vielleicht sogar ein bisschen betrunken, dem Schwanken nach zu urteilen, mit dem sie aus der Tür gekommen war.
E. D. nahm Jason – der plötzlich viel jünger und weniger selbstsicher wirkte – in Augenschein und wies ihn dann an, ins Haus zu gehen und sich sauber zu machen.
Dann wandte er sich mir zu.
»Tyler«, sagte er.
»Sir?«
»Ich nehme an, du warst nicht verantwortlich für diesen Vorfall. Das hoffe ich jedenfalls.«
Hatte er bemerkt, dass mein Fahrrad fehlte und Jasons unbeschädigt war? Wollte er mir irgendwelche Vorwürfe machen? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich sah den Rasen an.
E. D. seufzte. »Lass mich dir etwas erklären. Du bist Jasons Freund. Das ist gut. Jason braucht das. Aber du musst begreifen, dass deine Anwesenheit hier – deine Mutter weiß das sehr gut – mit gewissen Verpflichtungen verbunden ist. Wenn du mit Jason Zusammensein willst, erwarte ich von dir, dass du auf ihn Acht gibst. Ich erwarte, dass du vernünftige Entscheidungen triffst. Vielleicht kommt Jason dir wie ein gewöhnlicher Junge vor. Aber das ist er nicht. Jason ist hoch begabt und er hat eine große Zukunft vor sich. Wir können nicht zulassen, dass das in irgendeiner Form gefährdet wird.«
»Genau«, schaltete sich Carol Lawton ein, und jetzt wusste ich mit Gewissheit, dass sie getrunken hatte. Sie legte den Kopf schief und taumelte fast in das Kiesbett, dass die Auffahrt von der Hecke trennte. »Genau, er ist ein verdammtes Genie. Er wird das jüngste Genie am M.I.T. sein. Mach ihn nicht kaputt, Tyler, er ist zerbrechlich.«
E. D. wandte den Blick nicht von mir ab. »Geh wieder rein, Carol«, sagte er tonlos. Dann: »Haben wir uns verstanden, Tyler?«
»Ja, Sir.«
Ich hatte E. D. überhaupt nicht verstanden. Aber ich wusste, dass jedenfalls ein Teil dessen, was er gesagt hatte, wahr war. Ja, Jason war etwas Besonderes. Und ja, es war meine Aufgabe, auf ihn aufzupassen.
ZEIT AUS DEN FUGEN
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Die Wahrheit über den Spin hörte ich fünf Jahre nach dem Oktober-Ereignis, in einer bitterkalten Winternacht, während einer Rodelparty. Natürlich war es Jason, von dem ich sie erfuhr.
Der Abend begann mit einem Essen bei den Lawtons. Jason war von der Universität gekommen, um die Weihnachtsferien zu Hause zu verbringen, daher hatte die Mahlzeit etwas Feierliches, obwohl sie »im Kreis der Familie« stattfand – ich war auf Jasons Drängen eingeladen worden, vermutlich gegen den Willen von E. D.
»Deine Mutter sollte auch hier sein«, flüsterte Diane, als sie mir die Tür aufmachte. »Ich habe versucht, E. D. dazu zu bewegen, sie einzuladen, aber…« Sie zuckte mit den Achseln.
Das sei schon in Ordnung, erwiderte ich. Jason wäre bereits vorbeigekommen, um Hallo zu sagen. »Sie fühlt sich sowieso nicht wohl.« Sie hatte sich mit Kopfschmerzen ins Bett gelegt. Außerdem hatte ich keinen Anlass, mich über E. D. zu beklagen: erst letzten Monat hatte er angeboten, für mich die Studiengebühr an der medizinischen Fakultät zu übernehmen, falls ich die Aufnahmeprüfung bestand, »weil«, wie er sagte, »das deinem Vater gefallen hätte«.
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