Spin
verfärbt – waren dafür gebaut worden, die riesigen Trägerraketen der Saatgutära aufzunehmen, die brandneuen Deltas muteten im Vergleich dazu geradezu winzig an. Nicht, dass wir auf die Entfernung nennenswerte Einzelheiten hätten erkennen können – nur vier weiße Säulen draußen im sommerlichen Dunst des Meeres, dazu das Gitterwerk der anderen Abschussrampen, die Schienenverbindungen, die im sicheren Umkreis vor Anker liegenden Begleit- und Hilfsschiffe. Es war ein klarer, heißer Morgen. Der Wind war böig – nicht stark genug, um den Start zu gefährden, aber mehr als ausreichend, um die Fahnen knattern zu lassen und das wohlfrisierte Haar von Präsidenten Lomax zu zerzausen, als er das Podium erklomm, um zu den versammelten Würdenträgern und Pressevertretern zu sprechen.
Die Rede war dankenswert kurz. Lomax beschwor das Vermächtnis Wun Ngo Wens und gab seiner tiefen Überzeugung Ausdruck, dass das Replikatorennetzwerk, das nun in die eisigen Randbereiche des Sonnensystems gepflanzt werden sollte, uns Aufschluss über die Natur und den Zweck des Spins verschaffen werde. In hehren Worten sprach er davon, dass die Menschheit ihre Spuren im Kosmos hinterlassen werde. (»Er meint die Galaxis«, flüsterte Jason, »nicht den Kosmos. Und – unsere Spuren hinterlassen? Wie ein Hund, der einen Hydranten anpinkelt? Irgendjemand sollte wirklich diese Reden gegenlesen.«) Abschließend zitierte der Präsident einen russischen Dichter aus dem neunzehnten Jahrhundert, F. I. Tjutschev:
Wie ein Trugbild entschwunden ist die äuß’re Welt,
und der Mensch, eine Waise, klein und hässlich,
blickt – hilflos, allein und gänzlich nackt -
ins schwarze Nichts des Weltalls, welches unermesslich.
Alles Leben, Licht – nur noch als Traum erscheinen sie,
da, plötzlich, im Schoß der tiefen Nacht,
nicht länger Rätsel, dennoch fremd, sieht er
ein schicksalhaftes Etwas, für ihn gemacht.
Dann verließ er die Bühne, und nach dem prosaischen Vorgang des Rückwärtszählens ritt die erste Rakete auf ihrer Feuersäule hinauf in den enträtselten Kosmos jenseits des Himmels. Ein schicksalhaftes Etwas. Für uns gemacht.
Während alle anderen nach oben blickten, schloss Jason die Augen und faltete die Hände im Schoß.
Zusammen mit den übrigen Gästen begaben wir uns anschließend in den Empfangsbereich, wo noch einige Pressegespräche auf uns warteten. (Jason hatte einen Zwanzigminutentermin mit einem Kabelsender, ich war für zehn Minuten gebucht. Ich war »der Arzt, der Wun Ngo Wen das Leben zu retten versuchte«, obwohl ich nichts weiter getan hatte, als seinen brennenden Schuh zu löschen und seinen Körper aus der Schusslinie zu ziehen. Ein rascher Check – Atmung, Puls – hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass ich nichts für ihn tun konnte und es am klügsten war, den Kopf unten zu halten, bis Hilfe eintraf. Was ich auch den Reportern immer wieder erzählte, bis sie es endlich begriffen hatten, jedenfalls nicht mehr fragten.)
Präsident Lomax bewegte sich händeschüttelnd durch den Raum und wurde schließlich von seinen Beratern in Beschlag genommen und fortgezerrt. Kurz darauf lauerte E. D. Jason und mir am Büfett auf.
»Jetzt hast du also bekommen, was du wolltest«, sagte er. Der Kommentar war für Jason bestimmt, aber E. D. sah mich an. »Es lässt sich nicht mehr rückgängig machen.«
»Weshalb«, erwiderte Jason, »es sich auch nicht lohnt, noch groß darüber zu streiten.«
Wun und ich hatten Jason in den Monaten nach seiner Behandlung unter strengster Beobachtung gehalten. Er hatte sich einer ganzen Reihe neurologischer Tests unterzogen, darunter eine Serie von Magnetresonanz-Tomographien. Keiner der Tests hatte irgendeinen Defekt offenbart, die einzigen auffälligen physiologischen Veränderungen waren auf seine Gesundung von der AMS zurückzuführen. Ein blitzsauberes Gesundheitsattest also, eindeutiger, als ich es je für möglich gehalten hätte.
Und doch schien er auf subtile Weise verändert. Ich hatte Wun gefragt, ob alle Vierten einen psychologischen Wandel durchmachten. »In einem gewissen Sinne, ja«, hatte er geantwortet. Von marsianischen Vierten wurde erwartet, dass sie sich nach ihrer Behandlung anders verhielten, aber in dem Wort »Erwartung« steckte etwas Mehrdeutiges: Ja, sagte Wun, es werde »erwartet« (für wahrscheinlich gehalten), dass ein Vierter sich verändert, aber sein Umfeld, seine Freunde und Kollegen, würde diese Veränderung auch »von ihm
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