Spin
keinen Arzt mehr brauchen.«
»Und die einzigen Leute, die das von mir wissen, sind du und Carol. Was ein weiterer Grund ist, warum ich dich nicht gehen lassen möchte.« Er zögerte. »Wie wär’s, wenn du dich selber der Behandlung unterziehst? Dir fünfzig zusätzliche Jahre gönnst?«
Das hätte ich wohl tun können. Aber fünfzig Jahre würden uns tief in die Heliosphäre der sich ausdehnenden Sonne tragen. Es wäre eine sinnlose Geste. »Ich wäre lieber jetzt nützlich.«
»Du bist also fest entschlossen zu gehen?«
E. D. hätte gesagt: Bleib! E. D. hätte gesagt: Es ist deine Aufgabe, auf ihn aufzupassen!
E. D. hätte so einiges gesagt.
»Ja.«
Jason packte das Lenkrad fester und starrte auf die Straße, als habe er dort etwas unendlich Trauriges gesehen. »Tja«, sagte er. »Dann kann ich nichts weiter tun, als dir alles Gute zu wünschen.«
An meinem letzten Tag bei Perihelion beorderte das technische Personal mich in einen der inzwischen nur noch selten benutzten Konferenzräume, wo mir zu Ehren eine Abschiedsparty stattfand und ich einige Geschenke erhielt, die dem Anlass – ein weiterer Abgang aus einer unaufhaltsam schwindenden Belegschaft – angemessen waren: ein Minikaktus in einem Terrakottatopf, ein Kaffeebecher mit meinem eingravierten Namen, eine Krawattennadel in Form eines Merkurstabs.
Abends dann stand Jason mit einem problematischeren Geschenk an meiner Tür.
Es war ein verschnürter Pappkarton. Als ich ihn öffnete, stieß ich auf etwa ein Pfund eng bedrucktes Papier und sechs nicht näher gekennzeichnete optische Speicherplatten.
»Was ist das?«
»Medizinisches Wissen. Du kannst es als Lehrbuch betrachten.«
»Welche Art von medizinischem Wissen?«
Er lächelte. »Aus den Archiven.«
»Den marsianischen Archiven?«
Er nickte.
»Aber das ist alles streng geheim.«
»Genau genommen, ja. Aber Lomax würde auch die Telefonnummer für den Notruf als streng geheim einstufen, wenn er der Ansicht wäre, dass er damit durchkäme. Könnte sein, dass hier Informationen zu finden sind, die Pfizer und Eli Lilly die Geschäftsgrundlage entziehen. Aber deren Interessen kann ich nicht als maßgeblich empfinden. Du vielleicht?«
»Nein, aber…«
»Ich glaube auch nicht, dass Wun dieses Wissen hätte geheim halten wollen. Also habe ich in aller Stille Teile des Archivs nach außen gegeben, an Leute, denen ich vertraue. Du musst nichts Bestimmtes damit machen, Tyler. Sieh es dir an oder ignorier es, hefte es ab – ganz wie du willst.«
»Toll. Danke, Jase. Ein Geschenk, für dessen Besitz ich verhaftet werden könnte.«
Ein noch breiteres Lächeln. »Ich weiß, dass du das Richtige tun wirst.«
»Was immer das sein mag.«
»Du wirst es herausfinden. Ich habe Vertrauen zu dir, Tyler. Seit der Behandlung…«
»Ja?«
»Scheine ich alles ein bisschen klarer zu sehen.«
Er erläuterte das nicht weiter, und schließlich stellte ich den Karton zu meinem anderen Gepäck, als eine Art Souvenir. Ich war sogar versucht, das Wort ANDENKEN draufzuschreiben.
Die Replikatorentechnologie war langsam sogar im Vergleich zur Terraformung eines toten Planeten. Zwei Jahre vergingen, bevor wir so etwas wie eine erkennbare Rückmeldung von den Einheiten erhielten, die wir am Rand des Sonnensystems verstreut hatten.
Die Replikatoren waren allerdings durchaus emsig da draußen. Kaum berührt von der Schwerkraft der Sonne, taten sie das, wofür sie gemacht waren: sich Stück für Stück, Jahrhundert für Jahrhundert zu vermehren, den Anweisungen folgend, die in ihr supraleitfahiges Äquivalent einer DNA eingeschrieben waren. Mit der nötigen Zeit und einem angemessenen Vorrat an Eis und kohlenstoffhaltigen Spurenelementen würden sie irgendwann so weit sein, nach Hause zu telefonieren. Die ersten in eine Umlaufbahn außerhalb der Spinmembran geschickten Aufklärungssatelliten fielen jedoch zur Erde zurück, ohne ein Signal aufgenommen zu haben.
Während dieser zwei Jahre gelang es mir, einen Partner zu finden – Herbert Hakkim, ein sanftmütiger in Bengalen geborener Arzt, der sein Praktikum ungefähr zu der Zeit abgeschlossen hatte, als Wun den Grand Canyon besuchte –, und gemeinsam übernahmen wir die Praxis eines Arztes in San Diego, der in den Ruhestand ging. Hakkim war offen und freundlich im Umgang mit den Patienten, aber er hatte praktisch kein Privatleben und schien damit auch recht zufrieden zu sein: außerhalb der Sprechstunden hatten wir kaum miteinander zu tun, und ich
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