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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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Fläschchen mit durchsichtiger Flüssigkeit.
    Ich kehrte um. Ins Haus zurück. Ich verriegelte die Tür hinter mir. Langsam schlich ich den Gang hinunter, lauschte nach den Geräuschen der Polizisten. Vielleicht umkreisten sie das Gebäude, vielleicht versuchten sie es noch mal an der Vordertür. Das Fieber steigerte sich jedoch ziemlich rapide und ich hörte alle möglichen Geräusche, von denen vermutlich nur die wenigsten nicht halluziniert waren.
    In meinem Zimmer angekommen, bewegte ich mich mit Hilfe des Tastsinns und des Mondscheins. Ich öffnete einen der beiden Hartschalenkoffer und stopfte einen Stapel handbeschriebener Seiten hinein, machte ihn wieder zu, verschloss ihn, hob ihn an und geriet ins Schwanken. Ich packte den anderen Koffer fürs Gleichgewicht und stellte fest, dass ich kaum noch laufen konnte.
    Ich stolperte beinahe über einen kleinen Plastikgegenstand, den ich als Inas Pager identifizierte. Ich blieb stehen, stellte die Koffer ab, hob den Pager auf und stopfte ihn mir in die Hemdtasche. Dann holte ich einige Male tief Luft und nahm die Koffer wieder auf; rätselhafterweise schienen sie jetzt sogar noch schwerer zu sein. Du kannst es, du schaffst es, sagte ich mir vor, aber die Worte klangen abgedroschen und wenig überzeugend, und sie hallten wider, als habe mein Schädel sich auf die Größe einer Kathedrale ausgedehnt.
    Ich hörte Geräusche von der Hintertür, die Ina immer von außen mit einem Vorhängeschloss verriegelte: klirrendes Metall und das Ächzen des Riegels, vielleicht ein Brecheisen, zwischen die Bügel des Schlosses gebohrt und herumgedreht. Schon bald, unvermeidlich, würde das Schloss nachgeben und die Männer würden ins Gebäude gelangen.
    Ich wankte zur dritten Tür, Ens Tür, die Seitentür, entriegelte sie und öffnete sie vorsichtig, im blinden Vertrauen darauf, dass niemand draußen stehen würde. Es war auch keiner da, beide Eindringlinge (falls es nur zwei waren) standen an der Hintertür. Sie flüsterten miteinander, während sie an dem Schloss zugange waren, trotz der Froschchöre und des Heulens des Windes waren ihre Stimmen schwach zu hören.
    Ich war mir nicht sicher, ob ich es bis zum Reisfeld schaffen würde, ohne gesehen zu werden. Schlimmer noch, ich war mir nicht sicher, ob ich es schaffen würde, ohne hinzufallen.
    Doch dann gab es einen lauten Knall – offensichtlich hatte sich das Schloss von der Tür verabschiedet. Der Startschuss, dachte ich. Du kannst das, dachte ich. Ich schnappte mir mein Gepäck und schwankte barfuß hinaus in die sternenklare Nacht.

 
GASTFREUNDSCHAFT
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    »Hast du das gesehen?«
    Molly Seagram deutete, als ich die Ambulanz betrat, auf eine Zeitschrift auf dem Empfangstisch. Ihr Gesichtsausdruck sagte: schlechtes Juju, böse Vorzeichen. Ein monatlich erscheinendes Nachrichtenmagazin, auf dem Titel ein Bild von Jason. Überschrift: DIE SEHR PRIVATE PERSÖNLICHKEIT HINTER DEM ÖFFENTLICHEN GESICHT DES PERIHELION-PROJEKTS.
    »Nichts Gutes, wenn ich dich recht verstehe?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Nicht unbedingt schmeichelhaft. Lies selbst. Wir können uns beim Essen darüber unterhalten.« Ich hatte bereits versprochen, sie abends zum Essen auszuführen. »Oh, und Mrs. Tuckman ist schon bereit und wartet in Box drei.«
    Ich hatte Molly schon oft gebeten, die Wartezimmer nicht als »Boxen« zu bezeichnen, aber es lohnte sich nicht, darüber einen Streit anzufangen. Ich schob die Zeitschrift in meine Postablage. Es war ein träger, regnerischer Aprilmorgen, Mrs. Tuckman war meine einzige angemeldete Patientin vor der Mittagspause.
    Sie war die Frau eines bei Perihelion angestellten Ingenieurs und war schon dreimal im letzten Monat bei mir gewesen, sie klagte über Angstzustände und Erschöpfung. Die Ursache ihres Problems war nicht schwer zu erahnen: Zwei Jahre waren seit der Umhüllung des Mars vergangen, und es gingen Gerüchte über Entlassungen bei Perihelion um. Die finanzielle Situation ihres Mannes war ungewiss, und ihre eigenen Versuche, Arbeit zu finden, waren ergebnislos geblieben. Sie verbrauchte ihr Xanax mit erschreckender Geschwindigkeit und verlangte Nachschub, und zwar dringend.
    »Vielleicht sollten wir ein anderes Medikament ins Auge fassen«, sagte ich.
    »Ich möchte kein Antidepressivum nehmen, falls Sie das meinen.« Sie war eine kleine Frau, ihr ansonsten angenehmes Gesicht schien in einem habituellen Stirnrunzeln erstarrt. Ihr Blick flackerte unruhig durchs Sprechzimmer, verharrte eine

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