Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spin

Spin

Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
zu ihren Feinden gehörten Amerikaner, Briten, Kanadier, Dänen etc., oder, umgekehrt, alle Muslime, Dunkelhäutigen, nicht Englischsprachigen, alle Katholiken, Fundamentalisten, Atheisten, alle Liberalen, alle Konservativen. Für solche Leute lag das vollkommene Zeugnis moralischer Klarheit in einem Lynchmord oder einem Selbstmordattentat, einer Fatwa oder einem Pogrom. Und sie waren im Aufsteigen begriffen, wie Sterne über einer Totenlandschaft.
    Wir lebten in gefährlichen Zeiten. Mrs. Tuckman wusste das, und alle Xanax-Bestände der Welt würden sie nicht vom Gegenteil überzeugen.
     
    Beim Mittagessen sicherte ich mir einen Tisch im hinteren Bereich der Caféteria, wo ich bei einer Tasse Kaffee den auf den Parkplatz prasselnden Regen beobachtete und in der Zeitschrift las, auf die mich Molly hingewisen hatte.
    Gäbe es eine Wissenschaft der Spinologie, begann der Artikel, dann wäre Jason Lawton ihr Newton, ihr Einstein, ihr Stephen Hawking.
    Genau das, was E. D. der Presse von jeher in den Mund gelegt hatte und was Jason nur mit Grausen hörte.
    Ob radiologische Untersuchungen oder Durchlässigkeitsstudien, ob reine Wissenschaft oder philosophische Debatten, es gibt kaum einen Bereich der Spin-Forschung, den seine Ideen nicht befruchtet und durchdrungen hätten. Seine Veröffentlichungen sind zahlreich und oft zitiert, seine Teilnahme verwandelt verschlafene akademische Konferenzen schlagartig in Medienereignisse. Und als stellvertretender Vorsitzender der Perihelion-Stiftung hat er starken Einfluss auf die amerikanische und weltweite Raumfahrtpolitik in der Spin-Ära genommen.
    Aber bei allen mit dem Namen Jason Lawton verbundenen unzweifelhaften Erfolgen – und dem gelegentlichen Hype – sollte man nicht vergessen, dass Perihelion von seinem Vater gegründet wurde, Edward Dean (E. D.) Lawton, der nach wie vor eine herausragende Stellung im Lenkungsausschuss und als persönlicher Berater des Präsidenten einnimmt. Und auch das öffentliche Bild des Sohnes, so behauptet manch einer, ist eine Schöpfung des ebenso einflussreichen und in der Öffentlichkeit weitaus weniger bekannten älteren Lawtons.
    Im Folgenden ließ sich der Artikel näher über E. D.s Werdegang aus: der gewaltige Erfolg seiner Aerostat-Telekommunikation in der Folge des Spins, seine Quasiadoption durch drei hintereinander folgende Regierungen, die Gründung der Perihelion-Stiftung.
    Ursprünglich als Expertenkommission und Industrielobbygruppe konzipiert, erfand Perihelion sich schließlich gewissermaßen neu als eine Regierungsbehörde, die spinbezogene Raumfahrtprojekte entwarf und die Arbeit von Dutzenden von Universitäten, Forschungseinrichtungen und NASA-Zentren koordinierte. Der Niedergang der NASA in ihrer alten Form war gleichbedeutend mit dem Aufstieg Perihelions. Vor zehn Jahren hat man das Verhältnis dann formalisiert, und Perihelion wurde, nach einer subtilen Neustrukturierung, der NASA offiziell als beratendes Organ angegliedert. In Wirklichkeit, so die Meinung von Insidern, wurde die NASA an Perihelion angegliedert. Und während das Junggenie Jason Lawton die Presse in seinen Bann schlug, zog sein Vater weiter ungestört die Fäden.
    Es folgte eine kritische Beleuchtung von E. D.s langjähriger Beziehung zur Regierung Garland, mit der Andeutung eines möglichen Skandals: gewisse technische Vorrichtungen seien zum Stückpreis von mehreren Millionen Dollar von einer kleinen Firma aus Pasadena gefertigt worden, obwohl Ball Aerospace ein kostengünstigeres Angebot gemacht habe. Inhaber der begünstigten Firma sei einer von E. D.s alten Kumpanen.
    Wir befanden uns gerade mitten in einem Wahlkampf, in dessen Verlauf beide großen Parteien radikale Flügel ausgegliedert hatten. Garland, ein Reformrepublikaner, dessen Politik von dieser Zeitschrift beständig kritisiert wurde, war für zwei Amtsperioden gewählt worden, und Preston Lomax, Vizepräsident und designierter Nachfolger, führte in den letzten Umfragen deutlich vor seinem Konkurrenten. Der »Skandal« war in Wirklichkeit keiner: Balls Angebot hatte zwar niedriger gelegen, aber das von ihnen entworfene Produkt war weniger effektiv; die Ingenieure aus Pasadena hatten einfach mehr Instrumente in einem entsprechenden Nutzlastgewicht untergebracht.
    Das sagte ich auch zu Molly beim Abendessen im Champs, anderthalb Kilometer von Perihelion entfernt an derselben Straße gelegen. Der Artikel brachte im Grunde nichts Neues, die Unterstellungen waren eher politisch als

Weitere Kostenlose Bücher