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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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gewusst? Gefühlt, vermutet, geahnt, aber gewusst – nein, das konnte ich nicht behaupten.
    »Dann ist es vielleicht so, dass die marsianische Substanz Ihre Erwartungen erfüllt«, sagte Ina, als sie mit ihrem verchromten Topf voll warmem Wasser und ihren verschiedenen Schwämmen wider ging. Darüber konnte ich dann im Dunkel der Nacht noch ein bisschen nachdenken.
     
    Es gab drei Türen, durch die man Inas Klinik betreten oder verlassen konnte. Einmal, als ihr letzter angemeldeter Patient mit einem geschienten Finger gegangen war, führte sie mich durch das Haus.
    »Dies ist das, was ich im Laufe meines Lebens aufgebaut habe«, sagte sie. »Wenig genug, mögen Sie denken. Aber die Menschen hier im Dorf brauchten etwas, das näher ist als das Krankenhaus in Padang – eine beträchtliche Entfernung, vor allem, wenn man mit dem Bus fahren muss oder die Straßen nicht verlässlich sind.«
    Eine Tür war die Eingangstür, durch die ihre Patienten kamen und gingen.
    Eine Tür war die Hintertür, metallverstärkt und stabil. Ina parkte ihr kleines Solarzellenauto auf dem festgetretenen Platz hinter der Klinik, und sie benutzte diese Tür, wenn sie morgens kam, und schloss sie wieder ab, wenn sie abends das Haus verließ. Die Tür befand sich gleich neben dem Zimmer, in dem ich lag, und ich war inzwischen so weit, dass ich das Geräusch ihres Schlüssels im Schloss erkannte, kurz nachdem, einen halben Kilometer entfernt, der erste Gebetsruf von der Dorfmoschee erklungen war.
    Die dritte Tür war eine Seitentür, von einem kleinen Flur abgehend, der außerdem die Toilette und einige Vorratsschränke beherbergte. Hier nahm Ina Lieferungen entgegen, und es war auch die Tür, durch die En kam und ging.
    En war genau so, wie Ina ihn beschrieben hatte: schüchtern, aber intelligent, klug genug jedenfalls, den medizinischen Grad zu erwerben, auf den er seine Hoffnungen gesetzt hatte. Seine Eltern waren nicht reich, sagte Ina, aber falls er ein Stipendium erringen konnte, das Vorstudium an der neuen Universität in Padang absolvierte, sich dort auszeichnete, eine Finanzierungsmöglichkeit für das Hauptstudium fand – »dann, wer weiß? Vielleicht hat das Dorf dann noch einen Arzt. So habe ich es jedenfalls damals gemacht.«
    »Sie glauben, er würde zurückkommen und hier praktizieren?«
    »Könnte durchaus sein. Wir gehen weg, wir kommen wieder.« Sie zuckte mit den Achseln, als sei das der natürliche Lauf der Dinge. Und für die Minang war es das auch: Rantau, die Tradition, junge Männer in die Fremde zu schicken, gehörte zum System des Adat, Brauch und Verpflichtung. Adat, wie auch der konservative Islam, hatte in den letzten dreißig Jahren unter dem Einfluss der Modernisierung gewisse Auflösungserscheinungen gezeigt, pulsierte aber noch wie ein Herz unter der Oberfläche des Minang-Lebens.
    En war eingeschärft worden, mich nicht zu belästigen, doch allmählich verlor er seine Scheu vor mir. Mit Inas ausdrücklicher Erlaubnis konnte er, wenn ich gerade keinen Fieberanfall hatte, seinen englischen Wortschatz verfeinern, indem er mir Lebensmittel brachte und sie für mich benannte: silomak, klebriger Reis; singgam ayam, Curryhühnchen. Wenn ich »Danke« sagte, rief En »Bitte sehr!« und grinste, wobei er seine strahlend weißen, aber krumm und schief stehenden Zähne zeigte (Ina versuchte seine Eltern davon zu überzeugen, dass er eine Zahnklammer brauchte).
    Ina selbst teilte sich mit Verwandten im Dorf ein kleines Haus; allerdings hatte sie in letzter Zeit in einem der Sprechzimmer der Klinik geschlafen, das auch nicht gemütlicher gewesen sein dürfte als meine trübe Zelle. Doch manchmal zwangen familiäre Verpflichtungen sie, über Nacht nach Hause zu gehen. In diesem Fall überprüfte sie meine Temperatur und meinen allgemeinen Zustand, versorgte mich mit Essen und Wasser und ließ mir für Notfälle einen Pager da. Und dann war ich allein, bis am nächsten Morgen ihr Schlüssel wieder im Türschloss klapperte.
    Eines Nachts jedoch erwachte ich aus einem wilden, labyrinthischen Traum, aufgeschreckt durch das Rütteln der Seitentür, an deren Türknopf jemand vergeblich drehte, um sie zu öffnen. Nicht Ina. Falsche Tür. Falsche Tageszeit. Nach meiner Uhr war es Mitternacht, erst der Anfang der tiefsten Nacht; einige wenige Dorfbewohner würden noch bei dem einen oder anderen warung herumhängen, Autos auf der Hauptstraße fahren, Lastwagen versuchen, bis zum Morgen irgendeine ferne desa zu erreichen. Vielleicht

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