Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
Nach fünf Ruftönen hörte er das ihm mittlerweile vertraute Knacken in der Leitung, es war wieder nur der Anrufbeantworter. Seit Tagen versuchte er, Dr. Langer zu erreichen, aber es war ihm nie gelungen. Dr. Langer war nicht zu Hause und reagierte auch nicht auf seine Bitten um Rückruf. In seiner Verzweiflung versuchte Mark es trotzdem noch einmal: »Doktor Langer, hier ist Mark. Ich muss Sie unbedingt sprechen, Doktor, bitte! Ich versuche seit Tagen, Sie zu erreichen. Bitte melden Sie sich!« Er legte auf und verharrte einen Augenblick ratlos an der Telefonsäule. Dann verließ er den Bahnhof und setzte langsam seinen Weg durch die Straßen Berlins fort, wie in Trance versunken, ohne etwas um sich herum wahrzunehmen.
* * *
Der Platz war leer bis auf ein paar eilige Passanten, die aus dem neuen Mitnahme-Möbelmarkt strömten. Von seinem Vater keine Spur. Er parkte das Auto und zog einen Parkschein. Vielleicht wartete sein Vater ja im Eingangsbereich des Elektronikmarkts auf ihn. Dort konnte man sich in der Ecke mit den Schließfächern aufhalten ohne Ärger mit dem Verkaufspersonal zu bekommen. Vor drei Wochen hatte er seinen alten Herrn schon einmal dort eingesammelt, aber davon wusste sein Vater sicher nichts mehr, also warum sollte er dort warten. Wahrscheinlich hatte er schon längst wieder vergessen, was sie vor drei Stunden am Telefon ausgemacht hatten. Trotzdem überquerte er den Vorplatz und warf einen Blick in die gläserne Eingangshalle des Markts. Sie war leer, bis auf wenige späte Kunden. Er ging unter dem Protest der Kassiererin in den Markt und marschierte im Eiltempo durch die Gänge. Nichts, bis auf ein paar vereinzelte, aufgescheuchte Kunden und zwei, drei Verkäufer, die sich über sein spätes Eindringen entrüsteten. Er machte kehrt und verließ den Markt unter anhaltenden Schmährufen des Verkaufspersonals.
Wo zum Teufel sollte er noch suchen. Er spürte, wie er langsam anfing, sich zu ärgern.
Frustriert ging er zum Möbelmarkt und warf einen Blick in den Kassenbereich. Erstaunt registrierte er, dass hier noch ungebremstes Einkaufstreiben herrschte. Eine junge Frau an der Kasse lächelte ihn sogar an, als er sich einen Weg in den Verkaufsbereich bahnte. Verwirrt warf er einen Blick auf seine Uhr. Es war fünf vor acht, also fünf Minuten vor Geschäftsschluss. Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Situation klärte sich auf, als er das riesige Transparent an der Stirnwand der Halle sah: »Neueröffnung, 14. März, 9:00 bis 20:30«. Er hatte also noch eine halbe Stunde.
Das Angebot im Markt war das gängige. Der Mix aus billigen Möbeln und völlig sinnlosem Kleinzeug war langweilig, wie in all diesen Läden. Trotzdem kauften die Leute mit Hingabe die hässlichsten Dinge: Zierlampen in Tiergestalt, zum Beispiel Nilpferde, die über einen kleinen Aschenbecher im Rücken verfügten.
Nach einem oberflächlichen Blick hatte er genug und strebte, der Menge folgend, zum Ausgang. Als er an einem gläsernen Lift vorbeikam, der in die Tiefgarage fuhr, reihte er sich unter die Wartenden ein. Vielleicht war sein Vater ja in seinem ziellosen Umherstreifen in die Tiefgarage geraten. Letztlich war alles möglich, letztlich konnte er überall nach ihm suchen, er hatte überall die gleiche Chance.
Die Garage war hell erleuchtet und wirkte dadurch wie ein belebter Boulevard in einer unterirdischen Stadt. Zahllose Gruppen von Menschen mit Einkaufswägen und -taschen waren zu ihren Fahrzeugen unterwegs. Die Garage war riesig und das Farbleitsystem für die einzelnen Ebenen und Bereiche kam ihm vollkommen undurchsichtig vor. Er verstand den Code nicht und hatte bald die Orientierung verloren. Entnervt entschloss er sich, einfach den Schildern »Ausfahrt« zu folgen und suchte seinen Weg zwischen den Autos nach draußen.
Plötzlich stockte die Autoschlange auf ihrem Weg an die Oberfläche und ein ohrenbetäubendes Hupkonzert setzte ein. Er drückte sich an den Fahrzeugen mit ihren wütenden Fahrern vorbei und eilte nach oben. Als er um eine Kurve bog, sah er die Ursache für den Stau: ein Mann in einem eleganten, blauen Mantel beugte sich ins Seitenfenster eines Geländewagens und wechselte ein paar Worte mit dem Fahrer. Der schien nicht besonders angetan von der Unterhaltung und fuhr einfach weiter. Mit einem Schwung zog der Mann seinen Oberkörper aus dem Autofenster und stellte sich mit einem großen Schritt und weit ausgebreiteten Armen dem nachfolgenden Fahrzeug entgegen. Der Fahrer reagierte empört,
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