Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
bezeichnet war. Sie doppel-klickte die Datei.
»Sitzung 21. März: Mark erzählt, dass er in Frankfurt studiert hat. Er schwärmt von dem Ausgehviertel Sachsenhausen und beschreibt eine ganze Reihe von Kneipen sehr genau. Spricht auch von seiner ersten Erfahrung mit Äppelwoi!« Das war der erste Satz in der Datei. Er war mit Cyan markiert und das Ausrufungszeichen am Ende war riesig und fett formatiert.
»Sitzung vom 02.05.: Mark erzählt von Berlin, sagt, dass er in den 80er-Jahren hier zur Schule gegangen ist und anschließend studieren wollte, dass seine Eltern aber kein Geld hatten, ihm ein Studium zu ermöglichen. Die Beschreibung der Schule ist extrem detailliert. Habe mir das Gebäude angeschaut, die Beschreibung stimmt perfekt. Das kann einfach nicht erfunden sein!«
Sarah holte ihren MP3-Player aus der Tasche und saugte sich über den USB Anschluss ein paar der Interviewfiles von der SD-Card. Sie konnte sich das ja mal zum Einschlafen reinziehen, vielleicht gab es ja irgendwas zu hören, das ihr weiterhelfen würde. Für jetzt hatte sie genug. Außerdem füllte sich die Bibliothek dramatisch und sie begann sich unwohl zu fühlen. Zeit für den Rückzug, sagte sie sich und packte ihre Sachen.
Als sie durch die große Eingangshalle an den Garderobenschränken vorbei zu dem riesigen Ausgangsportal aus dunklem Holz strebte, bemerkte sie Paul, der in ein Gespräch vertieft am schwarzen Brett gegenüber dem Eingang stand. Einen Augenblick dachte sie daran, ihn anzusprechen und ihm die Fotos auf der SD-Card zu zeigen. Vielleicht wusste er ja, welche Geräte darauf zu sehen waren und was die Auswertungstabellen bedeuteten. Aber nach einem kurzen Blick über ihr Outfit verwarf sie den Gedanken. So verschlampt wie sie sich vorkam, wollte sie Paul nicht gegenübertreten, dazu gefiel er ihr einfach zu gut. Also machte sie kehrt und verließ das Institut durch einen Seiteneingang. Sie konnte Paul ja auch noch in den nächsten Tagen nach dem Seminar ansprechen.
* * *
Als sie wieder in die Straße vor dem Parkhaus einbog, war tote Hose. Trotzdem blieb Sarah eine halbe Stunde im Auto sitzen und beobachtete den Eingang, ohne dass etwas Auffälliges geschehen wäre. Nur ein gut gebauter junger Mann mit langen blonden Locken und einer grünen Nylonjacke war mit einem riesigen schwarzen Hund im Eingang aufgetaucht, hatte den Hund gegen einen Baum pissen lassen und war mit ihm wieder im Parkhaus verschwunden. Seinem breiten Kreuz nach zu urteilen hatte er ein leidenschaftliches Verhältnis zu Hanteln und Anabolika und hatte einen Zweitwohnsitz in einer Muckibude. Wahrscheinlich ein Garagenmieter, der irgendetwas im Parkhaus am laufen hatte, aber ungefährlich für sie, wie es den Anschein hatte.
Sie nahm ihre Aldi-Tüte mit ein paar Einkäufen, die sie auf dem Rückweg von der Uni gemacht hatte, und ging die Straße hinunter zur Parkhaus-Einfahrt. Alles war still und verlassen. Auch die Park-Ebenen waren menschenleer. Nur eine Garage schräg gegenüber von ihrer stand offen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und ging langsam darauf zu. Plötzlich schlug ein Hund an. Sie erstarrte vor Angst und konnte spüren, wie ihr Herz für einen Moment stehen blieb und schrumpfte. Aber als der blonde Lockenschopf mit der Nylonjacke hinter seinem großen schwarzen Hund unter dem Garagentor auftauchte, entspannte sie sich schnell wieder und ging erleichtert auf die beiden zu.
Der junge Mann beruhigte seinen Hund und wandte sich dann an sie: »Keine Angst, er ist eigentlich ein ganz Lieber, aber er ist hier keinen Besuch gewöhnt.«
»Stimmt, ist ein bisschen einsam hier, wenn man frisch eingezogen ist und noch niemanden zum Spielen hat«, entgegnete sie flapsig und streckte ihre Hand vorsichtig aus, um den großen schwarzen Kopf zu tätscheln. »Wie heißt er denn?«
»Grauer.«
»Grauer?«, fragte sie vollkommen erstaunt.
»Ja, sieht man doch, oder? Aber Spaß beiseite, ist nicht meine Schuld, der hieß schon immer so, habe ihn von der Nachbarin geerbt und sie hat’s mir nicht erklärt, vielleicht war sie farbenblind?«
Sarah spürte sofort, dass sie ankam, dass der Typ sie mochte. Sie warf an ihm vorbei einen Blick in die Garage. Es sah aus wie in einem Trödelladen, überall Kisten mit irgendwelchem Zeug, Uhren, Taschenmesser, alte Orden, Computer-Zeugs. Der junge Mann bemerkte ihren Blick und sie spürte, dass er misstrauisch wurde. »Ebay, wir haben eine Laden auf Ebay«, bemerkte er dann aber ganz entspannt und deutete mit
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